Hans Pfitzner
* 5. Mai 1869 Moskau
† 22. Mai 1949 Salzburg
Trio für Pianoforte, Violine und Violoncell, F-Dur, op.8
komponiert: 1895–1896 Mainz und Frankfurt/Main
Widmung: Alexander Friedrich Landgraf von Hessen
Uraufführung: Frankfurt/Main, Konzertsaal des Hoch´schen Konservatoriums, 14. Dezember 1896
James Kwast (1852-1927), Klavier
Alfred Heß (1868-1927), Violine
Friedrich Heß (1863-?) , Violoncello
Erstausgabe: Simrock, Berlin, 1898
Unmittelbar nachdem Pfitzner sein programmatisches Opus 1 der Öffentlichkeit seiner Heimatstadt präsentiert hatte, wandte er sich jenem Gebiete zu, um das sein ganzes künftiges Schaffen kreisen sollte: dem Musiktheater.
Im Jahr der Entstehung der Cellosonate war die aus Königsberg stammende Familie Grun, die viele Jahre in England gelebt hatte, nach Frankfurt gekommen: die vier Kinder, damals zwischen 14 und 24 Jahre alt, gehörten bald zu Pfitzners allerengstem Freundeskreis. Der älteste, James, wurde der Librettist der ersten beiden Pfitznerschen Opern (Der arme Heinrich und Die Rose vom Liebesgarten). Von 1891 und bis 1893 arbeitete der junge Komponist mit leidenschaftlicher Hingabe an seinem Opernerstling. In dieser Arbeit durchlebte und durchlitt er in bisher nicht gekannter Heftigkeit auch den schmerzlichen Zwiespalt zwischen seiner schöpferischen Berufung, der er bis in die völlige Vereinsamung treu zu bleiben bereit war, und einer ebenso elementaren wie unabweislichen Sehnsucht nach erfüllter Liebe:
Ich habe Todesangst, daß ich den letzten Akt überhaupt fertig kriege. Eng mit allem diesem zusammen hängt wohl Deine Bemerkung, daß meine Liebe bisher einen ungeheuren Mangel hatte; bitte schreibe mir, was Du damit meinst. Ich kann mir nur denken, daß Du die Künstlerliebe überhaupt meinst, diese ist allerdings unrein & braucht die Person nur als Mittel zum Zweck; aber das ist ja eine alte Geschichte[,] und wir haben sie x mal besprochen, und solange ich Künstler bin, muß ich bei dieser Sorte Liebe bleiben. […]…aber nur eins weiß ich: entweder ich komponiere, und das schließt Mimie eben so mit ein, – oder ich liebe Mimie rein – & das schließt das Komponieren aus.
(an Paul Nikolaus Cossmann, Sommer 1893)
Mimie – das ist die damals eben vierzehnjährige Tochter seines Klavierlehrers James Kwast, eine Enkelin Ferdinand Hillers, die 1899 unter abenteuerlichen Umständen schließlich Pfitzners Frau werden sollte und mit deren Tod (1926) – nach seinen eigenen Worten – sein „eigentliches Leben“ endete.
Mit der fertigen Oper macht sich der junge Meister auf eine qualvolle und demütigende Odyssee quer durch Deutschland: In München läßt sich Hermann Levi (assistiert von seinem Protegé Gerhard Schjelderup) gnädig herab, das Werk anzuhören, aber nur um es – sekundiert von Schjelderup – in Grund und Boden zu kritisieren. Immerhin empfiehlt er Pfitzner an seinen Freund Karl Muck in Berlin. Der erkennt zwar die außergewöhnliche Qualität des Armen Heinrich sofort, scheitert aber am Veto seines Intendanten, des Grafen von Hochberg. Bei Felix Mottl in Karlsruhe kommt es nicht einmal zu einem Vorspiel – und auch die Opernhäuser in Stuttgart, Dessau und Prag lehnen Pfitzners Schmerzenskind rundweg ab. Einziges greifbares Resultat all dieser Bemühungen ist das selbstlose Angebot des Kölner Heldentenors Richard Bruno Heydrich (1865-1938), der erklärt, er werde sich für die Titelpartie unentgeltlich zur Verfügung stellen, sobald eine Bühne für die Aufführung gefunden sei.
Der Zustand, in den Pfitzner versinkt, ist beängstigend:
„…entsetzlich ist das Gefühl, wenn ich Noten sehe, die mich früher entzückten, oder einen Accord anschlage, und mich fragen muß: warum interessiert mich das? Oder vielmehr: wie kann das jemand interessieren? Die Musik ist jetzt für mich so interessant wie Maschinenbau. Das Componieren eine versunkene Welt; ich sitze vor einem Notenblatt, worauf ich den Anfang eines Satzes geschrieben habe, es ist unmöglich. […] Da mir die Bedingungen des Componierens genommen sind, ist mir auch der Wert des Lebens genommen. Es bleibt mir also nichts andres übrig, als:
1.) mich totzuschießen
2.) ein gewöhnlicher Mensch zu werden
3.) eine andere Welt zu werden.
Daß das dritte unmöglich ist, und die beiden andren eines schlimmer als das andre ist, wird Dir einleuchten…“
(an Paul Nikolaus Cossmann, 7. Juli 1894)
Als Pfitzners Studienkollege Bernhard Sekles im September 1894 als 3. Kapellmeister an das Mainzer Stadttheater engagiert wird, beschließt der verzweifelte Komponist, seinem Freund als „Korrepetitionsvolontär“ zu folgen. Die unbezahlte Stelle, die der eines (meist nur zur Leistung von subalternen Hilfsdiensten verwendeten) unbezahlten 4. Kapellmeisters entspricht, ist für einen verletzlichen und sensiblen Menschen wie Pfitzner denkbar ungeeignet, aber er ist bereit, für das Leben seines Werkes alle Qualen auf sich zu nehmen.
Einen Lichtblick bringt ein Brief aus Wiesbaden – dorthin, an Regers Lehrer Hugo Riemann hat Pfitzner seinen Armen Heinrich zur Begutachtung geschickt, und dieser antwortet in seiner bedächtig-enthusiastischen Weise:
„Ihre Freiheit und Kühnheit der Harmoniebehandlung ist erstaunlich, aber erweckt keine Spur von Mißbehagen, da sie von einem starken Gefühl strenger Logik getragen wird, so daß ich die Überzeugung hege, daß Sie einer der berufensten Nachfolger Richard Wagners sind.“
Pfitzner hat sich inzwischen in der Mainzer Altstadt in einem der „Dombauhäuser“ (Am Leichhof 34) bei einer alten Dame als Untermieter einquartiert und versucht, zwischen seinen lästigen Pflichten und den immer wieder enttäuschten Hoffnungen zu seinem eigentlichen Beruf zurückzufinden:
Es handelt sich bei mir nur darum, daß ich den seelischen Zustand, die Stimmung wiederfinde, um das, was immer in mir liegt, loswerden zu können; sonst könnte ja jeder hochstehende und empfindende Mensch Künstler sein, wenn das nicht den Künstler ausmachte, daß bei ihm sich die Zauberstunde einstellt, in der sich sein Inneres von ihm loslöst.
(an Lulu Cossmann, 1894/95)
Als er die Hoffnung auf eine Aufführung seiner Oper schon fast aufgegeben hat – am 19. Februar 1895 hat er sich in aller Stille um eine Stelle am Stadttheater in Dessau beworben – bringt Frances Grun mit einem verwegenen Schachzug die Dinge ins Rollen: sie erreicht, daß Alexander Friedrich von Hessen sein Interesse an einer Aufführung bekundet, und damit sind plötzlich alle Hindernisse aus dem Weg geräumt. Die Uraufführung des Armen Heinrich (am 2. April 1895, Wiederholung am 15. April) ist zwar kein weithin wirkendes Ereignis, aber doch ein wichtiger Impuls für den jungen Komponisten, der zu dieser Zeit schon an seinem Klaviertrio zu schreiben begonnen hat.
Nachdem das heißumkämpfte und herbeigesehnte Ziel erreicht ist, dauert es aber nicht lange, bis Pfitzner wieder in Depressionen verfällt. Am 7. Juni 1895 wird sein Stellengesuch vom Stadttheater Dessau abschlägig beschieden. In einem an eben diesem Tag an Cossmann adressierten Brief findet sich ein für diese Zeit sehr charakteristischer Pfitzner-Akkord:
Über die Widmungen habe [ich] leider schon verfügt; sie hätten wohl mehr Zweck nach meinem Tode, der hoffentlich bald eintreten wird; uns wäre beiden geholfen, wenn Du dies etwas beschleunigen könntest.“
Einen Teil des Sommers verbringt er im Frankfurter Elternhaus, aber auch hier kommt die immer wieder stockende Arbeit am Trio nicht voran. Da Bernhard Sekles mit Beginn der neuen Saison Mainz verläßt, kann Pfitzner aber nun in die bezahlte Stelle des 3. Kapellmeisters nachrücken; das nicht eben fürstliche Salär von 120 Mark ist Grund genug, noch ein Jahr in Mainz zu bleiben. Er gelingt ihm auch, seine Bühnenmusik zu Ibsens „Fest auf Solhaug“ aufführen zu lassen (28. November 1895); das Telegramm, das die Freunde von der Premierenfeier an den verehrten Dramatiker schicken, bleibt unbeantwortet.
Pfitzners Stellung in Mainz ist inzwischen so gefestigt, daß sich unter Mitwirkung des Landgrafen und des Oberbürgermeisters ein „Hans-Pfitzner-Comité“ konstituiert – die allererste der zahlreichen Vereinsgründungen, die Pfitzner heraufbeschworen hat.
1895 ist nicht nur das Jahr von Pfitzners erster Begegnung mit dem Leitbild Palestrina (das ihm die Musikgeschichte von A. W. Ambros nahebringt), es ist auch ein Jahr intensiven Schopenhauer-Studiums. „Die Welt als Wille und Vorstellung“ wird von nun an Pfitzners Religion sein – und das bleibt nicht ohne tiefe Auswirkungen auf das eben entstehende Trio. Nicht, daß es philosophische Programmusik oder sonst in irgendeiner entschlüsselbaren Weise illustrative Musik wäre – doch das Werk atmet ein Lebensgefühl, dessen schopenhauersche Wurzeln unüberhörbar sind. Noch im Alter spricht Pfitzner von Schopenhauers Hauptwerk als dem lehrreichsten Buch der Welt, das ihm unverlierbarer Besitz geworden sei.
Nur langsam, für Pfitzner quälend langsam, nimmt das Werk Gestalt an. Selbstzweifel und selbstzerstörerische Visionen lähmen den Komponisten immer von neuem. Stellen wie diese finden sich oft in der Korrespondenz dieser Monate:
ich bitte folgendes nicht als übereilte Äußerung zu nehmen: daß ich nun glaube, daß ich & alles um mich herum in Trümmer stürzt – ich nie mehr Künstler sein kann.
(an Paul Nikolaus Cossmann, 4. März 1896)
Das Frühjahr 1896 bringt eine Wiederaufnahme des Armen Heinrich, für den sich jetzt auch andere Bühnen zu interessieren beginnen. Pfitzners Verhältnis zu Alexander Friedrich von Hessen (1863-1945) gestaltet sich zunehmend freundschaftlich. Der blinde Landgraf, der als Komponist Unterricht von Herzogenberg, Draeseke und sogar Fauré erhält und gediegen-eklektische Werke schreibt, erkennt das Genie Pfitzners. Als dieser die Uraufführung von Alexander Fiedrichs Klaviertrio op. 3 (für Klavier, Klarinette und Horn) besucht, lädt ihn der Landgraf ein, ihn im Sommer nach Bayreuth zu begleiten. Mit Abschluß der Saison 1895/96 endet Pfitzners Mainzer Tätigkeit. Mitte Juli reist er dann, wie verabredet, mit Alexander Friedrich von Hessen nach Bayreuth, wo er den ganzen „Ring“ unter der Leitung von Hans Richter hört. Es wird für ihn eine wichtige, wenn auch durchaus nicht beglückende Erfahrung:
…die Leute verstehen eben nur das am Genie, nur das nicht-genial ist. sonst wäre es ja leicht, und hätten wirs ja, wo doch schon ziemlich viele Genies gelebt haben, so „herrlich weit gebracht“ [.] wenn man die Leute dort hört, von denen jeder einzelne sich ein kleiner Wagner dünkt, wo Schumann & Brahms Dilettanten sind, von denen zu sprechen sich der Mühe nicht verlohnt – – – –
Man kriegt in Bayreuth furchtbare Sehnsucht nach – Wagner.
was muß der Arme gelitten haben!
(an Paul Marsop, 27. Juli 1896)
Ich habe vorwiegend Ekel, Mutlosigkeit und Verachtung von dort mitgenommen. Über Wagner habe ich künstlerisch natürlich kein Jota neuer Meinung profitiert; nur herzliches Mitleid mit dem Armen, der in solcher Gesellschaft leben mußte. Andrerseits doch auch die betrübende Entdeckung, daß doch ein kleiner Teil seiner Natur in diesen Leuten repräsentiert wird. Das ist eben die Erdenschwere, ohne die er nie durchgekommen wäre, und die bei seiner unerhörten Größe selbstverständlich ist.
(an Lulu Cossmann, 28. Juli 1896)
Unter die Activa dieser Reise ist jedenfalls die Bekanntschaft mit dem Komponisten Max von Schillings (1868-1933) zu rechnen, die zu einer Lebensfreundschaft werden sollte.
Nach Frankfurt zurückgekehrt, unternimmt Pfitzner einen neuerlichen Anlauf, das Finale des Trios zu Ende zu bringen:
Was mich anbetrifft, so komme ich wohl in diesem Leben aus dem unerquicklichsten Zustand nicht heraus, der den Charakter des Provisorischen trägt; ich kriege den letzten Satz eines Trios seit einem halben Jahr nicht fertig; hätte ich den fertig, so würde ich irgend eine Initiative ergreifen für mein ferneres Leben.
weiter wünsche ich mir nichts.
(an Frances Grun, 23. September 1896)
Im Oktober entschließt er sich endlich, die elterliche Wohnung zu verlassen, und zieht in die Eschersheimer Landstraße 63, nur wenige Schritte von dem sechs Jahre zuvor verlassenen Konservatorium entfernt. Die Loslösung von den Eltern bringt nun auch eine sich schon seit mehreren Jahren anbahnende Entwicklung in Fluß:
…das Trio ist immer noch nicht fertig; hoffentlich wird es jetzt, denn bevor das nicht beendigt ist, kann ich keinerlei Initiative ergreifen, und das ist jetzt für mich das notwendigste. […]
Als Mitteilung, die Dich jedenfalls doppelt interessieren wird, die ich Dich aber bitte, aufs Strengste geheim zu halten, […] sei Dir gesagt, daß sich jetzt Mimi mir ganz zugewendet hat; wir correspondieren. […]
M. wird scheint´s dort wie eine schwere Verbrecherin gehalten & bewacht; das war die Mutter! Schreibe ihr nur nicht, da es nicht sicher ist, ob die Briefe nicht abgefangen werden;
(an Paul Nikolaus Cossmann, 22. Oktober 1896)
Wenige Wochen später ist das Werk endlich beendet – allein die Arbeit am Finale hat mehr als zehn Monate in Anspruch genommen. Aber Pfitzner ist auch das glücklich-dankbare Aufatmen nach getaner Arbeit, das „Laus Deo“ Haydns, das „Bohu díky“ Dvoráks, versagt:
Lieber Paul!
Das Trio ist fertig. Das ist die wichtigste Mitteilung, die ich Dir jetzt machen kann; ich glaube, daß es für mich ein Moment ist. Augenblicklich bin ich der festen Überzeugung, daß es mein letztes Werk ist; was ich zunächst vorhabe ist: es genau fertig aufzuschreiben, meine andre Compositionen in Ordnung zu bringen […] und dann – die Aussichten dann sind sehr schlimm; mein Privatwunsch ist – sterben; ich habe nicht die moralische Kraft, das was ich ahne, zu verwirklichen.“
(an Paul Nikolaus Cossmann, Ende November 1896)
Tatsächlich läßt die Eile, mit der Pfitzner jetzt die Uraufführung des eben beendeten Werkes arrangiert, den Schluß zu, die unheilkündenden Wendungen dieses Schreibens seien mehr gewesen als depressive Rhetorik. Die Uraufführung im Hoch´schen Conservatorium unseligen Angedenkens übernehmen Pfitzners ehemaliger Klavierlehrer und (noch ahnungsloser) zukünftiger Schwiegervater James Kwast und das Brüderpaar Alfred und Friedrich Heß, Pfitzners „Mitzöglinge“ in seiner Konservatoriumszeit.
Rezension der Uraufführung
(Frankfurt/Main, 14. Dezember 1896)
Die Herren Prof. James Kwast, Concertmeister Alfred Heß und Friedrich Heß führten in ihrem gestrigen zweiten Kammermusik-Abend ein neues Klaviertrio von Hans Pfitzner in die Öffentlichkeit ein. Mehr als bei irgendeinem der früher gehörten Werke des jugendlichen Tonsetzers hat sich uns bei Anhören dieses Trios die Überzeugung von der bedeutenden kompositorischen Begabung Pfitzners aufgedrungen, wenn auch der Hang, ins Ungemessene zu schweifen, sei es in der häufigen Anwendung kühnster Modulationen oder in dem Gefallen an grübelnden Reflexionen, wie es sich namentich in dem Schlußsatze äußert, erkennen läßt, daß der Komponist seine Sturm- und Drangperiode noch nicht hinter sich hat. Wenn irgend eine Musik sich nicht beschreiben läßt, sondern gehört sein will, so ist es die Pfitzner´sche, und wenn wir die symphonische Bedeutung der Motive des ersten Satzes und die ganz außerordentliche Kunst, mit welcher diese verarbeitet sind, die etwas an „Tristan“ und „Parsifal“ erinnernde Einleitung und die Schönheit des zweiten Abschnittes des langsamen Satzes, die Liebenswürdigkeit und Eigenart des Scherzos rühmen, so ist damit die Reihe der Vorzüge noch nicht erschöpft, wie anderseits harmonische und modulatorische Härten, merkwürdige, auf die Spitze getriebene dramatische Pointen und andere Absonderlichkeiten nicht gerade vereinzelt vorkommen. Viel Kraft, Mut und Können steckt in der Pfitznerschen Musik[,] und das ist die Hauptsache. Die Novität fand gute Ausführung und einen starken äußeren Erfolg.
(S[chaum] in der Frankfurter Zeitung vom 15. Dezember 1896)
Schon am Tag nach der Uraufführung scheint Pfitzners Blick wieder in die Zukunft gerichtet – wenn auch nur in lakonischer Sachlichkeit: „Es war sehr gut, daß ich das Stück erst einmal gehört habe, da stellt sich so manches heraus.“, schreibt der Komponist an seinen treuen Pianisten Jedliczka nach Berlin.
Am darauffolgenden Tag, dem 16. Dezember 1896, wird das Trio für eine Gruppe von Freunden (Emil Steinbach, Otto Neitzel u.a.), die die Uraufführung versäumt hatten, in einem Hauskonzert wiederholt. Steinbachs Begeisterung hält sich in Grenzen – er schnaubt: „Was ist ein Trio! Sie sind ein dramatischer Komponist, Sie müssen wieder eine Oper schreiben.“
Das will und wird Pfitzner auch, vorher möchte er aber noch einmal sein Glück in Berlin versuchen – das Experiment von vor vier Jahren war ja so entmutigend nicht gewesen. Seine Berliner Freunde stehen bereit: Zu dem altbewährten Jedliczka haben sich diesmal Carl Halir (1859-1909) und Hugo Dechert (1860-1923) gesellt, und auch der niederländische Stockhausen-Schüler Anton Sistermans (1865-1926), der eben erst in Wien die Uraufführung von Brahms´ „Vier ernsten Gesängen“ bestritten hat, steht zur Verfügung. Am 3. März 1897 tritt dieses Freundesquartett zusammen mit dem Komponisten, der die Begleitung der Lieder übernimmt, im Saal der Singakademie vor das Berliner Publikum.
Der Zufall bewährt sich dabei wieder einmal als überaus einfallsreicher Regisseur. Der eifrige Musikfreund kann nämlich, bevor er sich zu Pfitzners Konzert in die Singakademie begibt, Karl Straube an der Orgel der Dreifaltigkeitskirche hören, wie er „für einen jungen Tonsetzer Max Reger“ eintritt, indem er dessen Suite e-moll op. 16 an den Beginn seines Programms stellt. Dieses „Den Manen Johann Sebastian Bachs“ gewidmete Werk hatte Reger nicht lange davor an Brahms geschickt, den die „allzu kühne Widmung“ zwar irritierte, der aber dem jungen Kollegen doch mit einem freundlichen und ermutigenden Brief antwortete. (Pfitzner war es einige Jahre früher mit seinem Opus 1 ja viel schlechter ergangen). Das Zusammentreffen der Novitäten von Reger und Pfitzner scheint jedenfalls einige der Kritiker bei weitem zu überfordern…
Rezensionen der Berliner Erstaufführung
(3. März 1897)
Im Begriff, über das Trio von Hans Pfitzner zu berichten, das am Mittwoch in der Singakademie von den Herren Dr. Ernest Jedliczka, Prof. Karl Halir und Hugo Dechert vortrefflich gespielt wurde, muß ich leider beschämt gestehen, daß ich nichts zu berichten weiß: ich habe das Stück einfach nicht verstanden. Da ich den Komponisten nicht kränken möchte – denn aus jedem der vier langen Sätze konnte man erkennen, wie bitter ernst es ihm mit seiner Kunst ist -, so will ich lieber die Eindrücke, die ich von seinem Werk empfangen habe, nicht wiedergeben, sondern warten, bis ein Studium der Partitur oder ein erneutes Hören meinem offenbar schwachen Geist den Schlüssel zu diesem Tiefsinn in die Hand gegeben hat.
(Carl Krebs in der Vossischen Zeitung vom 4. März 1897)
Pfitzners Trio für Klavier, Violine und Violoncell ist eine ganz merkwürdige Komposition. Bezüglich der Dauer übertrifft es noch die Suite von Reger [das am selben Tag von Karl Straube aufgeführte Opus 16], sein Inhalt ist aber so zerfahren, schwülstig, öde und abgeschmackt, daß man darüber streiten könnte, welches von beiden Werken den trostloseren Eindruck hinterlassen habe. Ohne jede Phantasie ist Pfitzner nicht, im langsamen Satz des Trios bringen Violoncell zuerst, dann Violine eine warm empfundene Melodie; der dritte Satz, das Scherzo, ist belebt und in seinem Hauptthema, wenn auch nicht neu, so doch glücklich erfunden – aber was will dieses wenige gegen die Ungeheuerlichkeiten der Verarbeitung sagen oder bedeuten! Herr Pfitzner wühlt und würgt sich durch eine Chromatik der Harmonien, die einem den Atem benimmt, und bleibt trotzdem monoton. Dann tut er wieder recht mystisch und nimmt Ausflüge ins transzendentale Gebiet, aber – die Sache bleibt stets dunkel. Endlich aber – und dies ist das Schlimmste – jammert er so viel in seiner Musik, daß dieselbe schließlich hysterisch klingt. Eine eingehende Besprechung der einzelnen Sätze verlohnt sich nicht.
(G-s im Berliner Lokal-Anzeiger vom 4. März 1897)
… Ebenso schlimm sah es leider in der Singakademie aus. Dort gab Hans Pfitzner, der durch seine Oper „Der arme Heinrich“ bekannt wurde, ein Konzert mit eigenen Kompositionen. Künstler von Rang und Namen liehen ihm ihre Unterstützung: Herr Anton Sistermans sang Lieder, die Herren Dr. Jedliczka (Klavier), Karl Halir (Violine) und Hugo Dechert (Cello) spielten ein Trio in F.
Irgendwelche Diskussion hat in diesem Fall keinen Zweck. Für das größere Publikum haben Kompositionen, die so viel ehrliches Streben und so wenig Phantasie in sich schließen, kein Interesse. Der Komponist selbst aber wird die Kritik, die ihm sagt, daß er entweder falsche Wege geht oder überhaupt des schaffenden Vermögens ermangelt, für nicht kompetent erklären. Er wird über die Kurzsichtigkeit und Beschränktheit derer sich beklagen, die über ihn zu urteilen berufen sind; er wird sich durch das Zureden der Freunde in seinem Wahn bestärken lassen, er wird weitergehen auf dem betretenen Pfade und – nichts erreichen. Ein unerquickliches Bild! Dieser letzte Konzertabend war de peinlichste der ganzen Saison. Nichts trauriger, deprimierender als ernstes, hochfliegendes Streben, das in unüberwindliche Hindernisse verstrickt ist.
(P. M. in den Berliner Neusten Nachrichten vom 4. März 1897)
Ein interessantes Konzert hatte man Herrn Hans Pfitzner zu verdanken, der am gestrigen Abend in der Sing-Akademie eigene Kompositionen zur Aufführung bringen ließ. Den Abend eröffnete ein Trio für Klavier, Violine und Violoncello, in welchem einige hübsch erfundene Themen in vier Sätzen nicht ohne Geist behandelt, aber oft zu lang ausgesponnen werden und dadurch mindestens einen Theil ihres Reizes einbüßen. Am gefälligsten erschien uns und – dem Anschein nach – der Mehrzahl der Hörer der dritte Satz, den der Komponist als „frei und launig“ bezeichnet, und welcher in der That einen frohsinnigen Stimmungsgehalt besitzt. Die Ausführung des Trios […] ließ kaum etwas zu wünschen übrig.
(Deutscher Reichsanzeiger vom 4. März 1897)
Herr Hans Pfitzner, der schon vor Jahren hier, und seither besonders in seiner rheinischen Heomath als Componist nennenswerthe Erfolge errungen hat, gab gestern Abend in der Singakademie ein Concert, um ein Klaviertrio und elf Lieder seiner Composition vorzuführen. Der junge Autor scheint hier nicht ohne Freunde seiner Kunst zu sein, denn der Saal war ganz gefüllt[,] und der Beifall ungewöhnlich warm und laut. Demgegenüber gab es einzelne urtheilende Hörer, die an den vorgetragenen Sachen auch nicht ein gutes Haar entdecken konnten. Ich möchte mich diesmal für die goldene Mitte entscheiden; ich fand den gespendeten Beifall übertrieben und das absprechende Urtheil unberechtigt. Vor allen Dingen hat Herr Pfitzner in seinem Trio eine starke Talentprobe gegeben. Es sind in ihm gut erfundene Motive und Themen, stark wirkende Contraste und Steigerungen, und endlich ungemein stimmungsvoll durchgeführte Abschnitte. Das Bedeutsamste in dieser Hinsicht dürfte der bald nach Beginn des Finales eintretende langsame, imitatorisch geführte Satz sein, der durch seine zarte, traurige Klangfarbe und durch seine allmählich sich entwickelnde Harmonik das Interesse in hohem Grade weckt. Auch der Contrast mit dem etwas wilden Allegro wirkt vortrefflich; leider ist aber der ganze Satz viel zu lang, und die mehrfache Wiederholung desselben Gegensatzes schwächt die Theilnahme bedeutend ab. Auch der dritte Satz, eine Art Scherzo, ist sehr hübsch und von gutem Humor dazu. Aber das ganze Werk ist zu gedehnt (es dauert eine Stunde) und vor allen Dingen zu wild, zu wenig abgeklärt, um einen vollkommenen Eindruck zu machen. Der Componist scheint noch zu sehr zu schreiben, was ihm eben einfällt; das ist vielfach etwas sehr Bemerkenswerthes, aber er beherrscht seine Fantasie noch nicht vollkommen. Immerhin darf das Trio im Allgemeinen als interessant für Denjenigen gelten, der ihm folgen will. […] In Summa: Herr Pfitzner ist ein zweifelloses Talent, aber er giebt noch nicht, was man von ihm erwarten kann. Die Ausführung des Trios durch die Herren Dr. Jedliczka, Prof. Halir und Dechert war trefflich.
(O. E. im Berliner Börsen-Courier vom 4. März 1897)
Mir scheint Her Pfitzner keinen Schritt vorwärts, sondern stark rückwärts in seiner künstlerischen Entwicklung gegangen zu sein, indem er in völlig schrankenlosen Subjektivismus verfallen ist. Das Trio dauert lämnger als eine Stunde, ergeht sich mit unberechenbarer Breite derartig in Grübeleien, verschmäht dabei jede feste Gliederung im Periodenbau, entbehrt der plastischen Ausarbeitung prägnanter Motive, daß der Hörer, jedes Anhaltspunktes beraubt, sich der Willkür preisgegeben fühlt. Wenn der Satz aufhört – und jeder Satz muß doch einmal aufhören – ist man völlig erschöpft durch die redselige Breite kraftloser Klagen, durch die Vorliebe für häßliche Harmoniefolgen, die geradezu raffiniert ausgesonnen sind, um das Ohr zu peinigen. Nehmen wir allein das Scherzo aus, das eine lebhaftere Bewegung anhebt und ein paar Momente freundlicheren Charakters bringt, so bleibt für die übrige Zeitdauer des Werkes nur die Qual übrig, düstere Interjektionen, endloses Lamentieren, krampfhaftes, aber vergebliches Versuchen, sich aus der Misere zu erheben, eine wahrhaft hämische Freude an häßlichen Klängen über sich ergehen lassen zu müssen. Mir scheint dieses Trio geradezu eine Ausgeburt des Größenwahns zu sein. […] Es brachte dieses Concert die unerquicklichste Musik, die Referent seit langer Zeit hat mitanhören müssen.
(E[rnst] E[duard] T[aubert] in der Post vom 5. März 1897)
Herr Hans Pfitzner brachte am Mittwoch, den 3. März, in der Singakademie ein Trio in F und eine Anzahl Lieder seiner Komposition zur Aufführung. Der junge Komponist, der die Mitte der zwanziger Jahre kaum überschritten haben kann, ist bereits vor vier Jahren hier aufgetreten und hat Anerkennung gefunden. Auch diesmal können wir bestätigen, daß ihm Phantasie, also eigentliche schöpferische Begabung zu Theil geworden ist. Man hört, daß er sich mit Liebe in das Lebne der Töne versenkt hat, daß sie ihn locken und umspielen, daß er in ihnen schwärmt und träumt. Daher ist sein Trio reich an Schönheiten melodischer und harmonischer Erfindung, die nicht mühevoller Kombination oder Reflexion, sondern natürlichem Empfinden entspringen. Aber es fehlt ihm an der anderen Seite der künstlerischen Begabung. Sein Schaffen wird ihm nicht objektiv, und das ist die Voraussetzung der Darstellung für Andere. Er bleibt im Schwärmen befangen, er erwacht nicht aus seinem Traum, um mit klarem Kopf und fester Hand die schwankenden Gestalten festzuhalten, zu verdichten. Uns ist er so eine liebere und seltenere Erscheinung, als der Dutzendkomponist, der überhaupt nicht schwärmt, sondern nur arbeitet. Aber die Fähigkeit sich mitzutheilen leidet darunter. Man kann sich wohl vorstellen, was er empfindet, wenn er in langsamem Tempo viermal dieselbe lange Note angiebt; aber dieses Empfinden ist zu subjektiv, es geht nicht ins Objekt über und bleibt daher dem Hörer unverstanden und ermüdend. So müssen sich auch die Sätze übr ihre innere Bedeutung hinaus dehnen und nicht zu Ende kommen. Das Trio dauert eine gute Stunde. In der liebevollen und vortrefflichen Ausführung durch die Herren Ernst Jedliczka, Carl Halir und Hugo Dechert erkannte indessen das Publikum das ungewöhnliche Talent des Komponisten und rief ihn nach dem Trio zweimal hervor.
(L[udwig] B[ußler] in der National-Zeitung vom 5. März 1897)
In der Singakademie gab der Komponist Hans Pfitzner zur selben Zeit ein Konzert mit eigenen Kompositionen, einem Klaviertrio und elf Liedern. Er ist durch sein Musikdrama „Der arme Heinrich“ bekannt geworden, und hat auch hier schon in einem eigenen Konzerte Proben eines starken Talentes abgelegt, das freilich noch weiterer Klärung bedurfte. Wir hofften also, für die uns durch Hrn. Reger zugefügten Unbilden einigermaßen entschädigt zu werden, kamen aber aus dem Regen in die Traufe, und in was für eine! Pfitzner ist anscheinend in böse Hände oder Einflüsse gerathen, vielleicht ist ihm auch die übertriebene Beräucherung durch „gute“ Freunde zu Kopfe gestiegen, denn was er uns in diesem Trio bietet, übersteigt alles Greuliche, was in der Musik jemals dagewesen ist. Ein solcher jäher Niedergang eines bedeutenden Talentes könnte Trauer erwecken, wenn nicht doch die Heiterkeit über diesen „musikalischen“ Unsinn schließlich überwöge, das Werk ist beim besten Willen nicht ernst zu nehmen. Angeblich steht es in F-dur, aber schon der erste Satz geht fast durchweg in einer Anzahl bisher unbekannter Tonarten, der zweite steht in cis-moll, der dritte in es-moll, der vierte in f-moll, d.h. in den ersten und letzten Takten, dazwischen geht es wieder rundum. Aus dem wüsten (meist chromatischen) Durcheinander der drei Stimmen, das durch den fortwährenden Taktwechsel noch anmuthender wird, treten einzelne klare, melodische Stellen angenehm hervor, sie werden aber durch die stets wiederkehrenden Nachahmungen, Sequenzen u.s.w. so entsetzlich in die Länge gezogen, daß man froh ist, wenn der wüste Spektakel wieder losgeht, weil man hofft, er werde die Sache endlich zu Ende bringen. Diese Hoffnung bleibt freilich lange unerfüllt, das Werk dauert fast eine Stunde; für 10 Minuten würde sein Gedankeninhalt allenfalls ausreichen, namentlich wenn man die freundlichen Anleihen bei anderen Komponisten abzieht, die sich ziemlich zahlreich finden. Die Herren Jedliczka, Halir und Dechert vedienen für den Heldenmuth, womit sie das ungenießbare Werk einstudirt hatten, rückhaltlose Bewunderung; wie namentlich Herr Jedliczka es fertig gebracht hat, den maßlos schwierigen Klaviersatz überhaupt zu lesen, bleibt uns ein Räthsel.
(Anonymus in der Neuen Preußischen Zeitung vom 5. März 1897)
Ein viersätziges Trio für Klavier, Geige und Violoncello in F-dur, von den Herren Dr. Jedliczka, Prof. Halir und Hugo Dechert mit rühmenswerther Hingabe gespielt, ließ in seiner molluskenartigen Verschwommenheit, in der gänzlich charakterlosen Verwendung der einzelnen Instrumente und in der tiefsinnig sein sollenden Schreibweise einen befremdenden Eindruck. In die weltschmerzlichen Falten des Denkers und Philosophen legt der Komponist seine jugendliche Stirn. Nur ganz vorübergehend, wie in dem langsamen Cis-moll-Satz, glückt es ihm einigermaßen[,] eine Stimmung festzuhalten, und in dem dritten Satze gleitet nur einmal ein leises Lächeln über die ernsten Züge. Dabei ist das Werk von einer Ausdehnung – es dauert eine Stunde – gegen die der göttliche Schubert im Lapidarstil schreibt.
(Wilhelm Blanck in der Täglichen Rundschau vom 5. März 1897)
…Von dem Konzerte der Genannten begaben wir uns in das des Herrn Hans Pfitzner, welcher nur eigene Kompositionen aufführte. Von einem Trio für Klavier, Violine und Violoncello hörten wir noch die Musik der letzten zehn Minuten; eine ganze Stunde hatte es aber bereits gedauert. Dies Endstück machte auf uns den Eindruck musikalischer Leere, und wir erfuhren denn auch, daß das die Signatur des ganzen Werkes sei: nirgends eine Zeichnung, nirgends ein fester Umriß, alles Stimmungsausdruck, der sich nicht selten in unangenehmen Klangkombinationen geäußert habe…
(Anonymus in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 6. März 1897)
Das musikalische Ereignis des Mittwochs war das Konzert, das der junge Komponist Hans Pfötzner [sic] mit eigenen Kompositionen in der Singakademie veranstaltete. Hervorragende Kräfte waren daran beteiligt, die Herren Dr. Jedliczka, Professor Halir und Dechert bildeten ein stattliches Trio, und Herr Sistermans übernahm die Liedervorträge. Hans Pfötzner [sic] hatsich mit seiner Oper „Der arme Heinrich“ als ein gedankenreicher, vielversprechender Vertreter neuerer deutscher Kunstrichtung erwiesen[,] und so sah man seinem Konzert mit Spannung entgegen. Leider brachte es in seiner ersten Hälfte eine arge Enttäuschung. Sein rund eine Stunde ausfüllendes Trio ist[,] gerade herausgesagt[,] eine Mißgeburt. Die einzelnen Schönheiten gehen in ausgedehnten öden und leeren Strecken unter, so daß das Ganze einfach ungenießbar ist.
(Sp. in der Deutschen Tageszeitung Berlin vom 8. März 1897)
…Sein Klavier-Trio ist ein wirres Produkt einer im Dunkeln tastenden , krankhaften Phantasie. Weder in den Themen, noch in deren Verarbeitung verräth sich der göttliche Funke. Es kommt nicht einmal etwas vor, was zum Widerspruch herausfordert, vielmehr herrscht in dem langen, fünf Viertelstunden währenden Opus öde Eintönigkeit, gähnende Langeweile. Auch die Lieder entbehren jener gesunden, frischen Melodik, die das Merkmal des wahren Talentes ist. Die Ausführenden, Herr Sistermann [sic], Dr. Jedliczka, Prof. Haler [sic] und Dechert, gaben sich redliche Mühe, um die ihnen anvertrauten Kompositionen vom Schiffbruch zu retten; aber vergebens.
(Eugenio von Pirani in der Charlottenburger Zeitung vom 8. März 1897)
So komponiert man nicht für vernünftige Menschen, sondern für Idioten.
(Anonymus in der Allgemeinen musikalischen Rundschau vom 7. März 1897)
Leider fühlen sich auch wieder Komponisten bewogen, eigene Konzerte zu geben, zunächst am Mittwoch Hans Pfitzner in der Singakademie. Der noch sehr junge Mann erregte, als er vor mehreren Jahren zum erstenmal hierher kam, allgemeine Aufmerksamkeit, man setzte große Hoffnungen auf ihn. Er bereitete den Freunden seiner Kunst jetzt eine herbe Enttäuschung. Ein Hang zur Grübelei trat schon in seinen früheren Kompositionen zutage, aber doch nicht in dem Maße, daß man nicht auf größere Frische für die Zukunft hätte rechnen dürfen. Die Entwicklung Pfitzners ist aber in einer ungünstigen Richtung fortgeschritten; etwas Grämlicheres, ich möchte sagen, etwas „Erdachteres“ als sein Trio kann man sich kaum vorstellen. Nur der dritte Satz, der mit „Frei und launig“ bezeichnet ist, machte einigen Eindruck. Die Motive sind im allgemeinen kurzatmig und werden zu häufig wiederholt, sie drängen sich zu sehr auf, der melodische Gehalt ist gleich Null. Das Trio hinterläßt nur den Eindruck der Öde und Länge, die ermüdet.
(Anonymus im Berliner Tagblatt vom 9. März 1897)
Hans Pfitzner hat sich neuerdings mit seinem in Mainz und Frankfurt sehr beifällig aufgenommenen „Armen Heinrich“ einen Namen als Opernkomponist gemacht, einzelne begeisterte Verehrer des jungen Tondichters wollten sogar etwas wie den „kommenden Mann“ in ihm erblicken. Das scheint nun allerdings, nach den Kindern seiner Muse zu urteilen, […] einigermaßen über das Ziel geschossen zu sein, denn weder seinem Klaviertrio […] noch den […] Liedern […] ist viel Gutes nachzusagen. […] Herr Pfitzner mußte sich dementsprechend mit einem bescheidenen Achtungserfolge begnügen; zwei, dem Komponisten zum Schluß überreichte gewaltige Lorbeerkränze konnten daran nichts mehr ändern.
(Anonymus in der Volks-Zeitung vom 9. März 1897)
Was uns in den letzten Tagen an musikalischen Genüssen geboten wurde, war nicht besonders probehaltig. Da hat sich ein junger Komponist Hans Pfitzner für einen Abend in der Singakademie niedergelassen mit einem Trio für Klavier, Violine und Violoncello und elf Liedern. Ja, war denn das noch Musik, was dort gemacht wurde? Wenn ich das wirklich schöne, natürlich fließende und kurze Scherzo ausnehme, war das Trio in seiner Formlosigkeit, mit seinen abgerissenen, selten zu einander passenden Scenen, seinem Mangel an melodischer Substanz und seiner erfindungsarmen Weitschweifigkeit ein trostloser Wüstenmarsch in Tönen. Dir Herren Dr. Jodliczka [sic], Halir und Dechert sind tapfer durch den Sand gewatet – ohne Erfolg. Etwas weniger zerfahren, gleichwohl der Geschlossenheit entbehrend, waren die Lieder. Von Wärme der Empfindung zeugen einige; die Grundstimmung fast aller ist aber eine trübe Weinerlichkeit. Sind das die zukünftigen Klassiker?
(Anonymus in der Berliner Zeitung vom 10. März 1897)
Durch ein abendfüllendes Komponisten-Konzert brachte sich Hans Pfitzner in Erinnerung. […] ich zweifle nicht, wir dürfen Großes erwarten von Hans Pfitzner, wenn auch das Programm seines Konzertes meine Hoffnungen nicht genügend unterstützt haben sollte. […] das sehr schwere Trio spielten die Herren Dr. Jedliczka, Professor Halir und Kammermusiker Dechert mit einer seltenen Hingabe und ausgezeichnetem Gelingen. Ich konnte der Ausführung des breit und tief angelegten, etwas rücksichtslos durchgeführten Werkes mit dem autographen Manuskript in der Hand folgen und war erstaunt über die geniale Größe der Konzeption und die Kühnheit der Faktur; eine gewisse herbe Konsequenz, nur hie und das unterbrochen durch flüchtige Sonnenblicke, erschwert das Verständniß[,] und ich kann mir denken, daß auch der gutwilligste Zuhörer nach und nach die Empfänglichkeit eingebüßt, die Geduld verloren hat. Es geht dem Komponisten wie jenem Säemann im Evangelium: unter die Dornen viel manches edle Samenkorn. Im Gestrüpp einer ziemlich melancholisch angehauchten Reflexion gelangten viele schöne Keime nicht zur rechten Entwicklung, sondern vegetirten nur, als fehle ihnen Licht und Wärme. Und doch sage ich: in dem Trio steckt eine bedeutende Schaffenskraft, es waltet darin ein so mächtiger „Wille zum Leben“, daß ich den hochgespanntesten Erwartungen mich hingebe. […] Pfitzner befindet sich noch in einem Übergangsstadium, jenes alte geflügelet Wort vom gährenden Most trifft auch bei ihm zu. Das gute Weinjahr kommt sicher! In der nächsten Zeit gilt sein Trachten und das Dichten eines bewährten Poeten der neuen Oper, welche Beide, fern vom Gewühl der Großstadt, in Angriff nehmen wollen. Recht so! Nur muthig weiter streben und schaffen!
(Anonymus [Wilhelm Tappert] im Kleinen Journal vom 11. März 1897)
Monströs in Bezug auf Ausdehnung… So monströs geringfügig und gequält sein Inhalt kein organischer Bau… stellenweis widerwärtige Kakophonie… Wüßte ich nicht, daß Herr Pfitzner ein ernster Künstler mit redlichem Streben ist, ich müßte auf den Gedanken kommen, er habe in einem Anfall von Galgenhumor versuchen wollen, was alles einem sympathisch gestimmten Publikum dargeboten werden darf.
(Otto Leßmann in der Allgemeinen Musikzeitung 1897/Nr.11)
Nachdem Pfitzner diese bunte Garbe an Kritiken eingesammelt hat, reist er mit James Grun nach Oostende, wo sie gemeinsam am Libretto zu Pfitzners nächster Oper, Die Rose vom Liebesgarten, arbeiten. Nach seiner Heimkehr schreibt der so vielstimmig geschmähte Komponist an einen seiner treuesten (und kompetentesten) Bewunderer:
Wie mein Concert in Berlin von der Kritik aufgenommen worden ist, werden Sie wohl vielleicht gehört haben; mit Ausnahme von Tappert & Bußler haben sie mich alle fürchterlich vermöbelt; einer meinte, es sei überhaupt das Scheußlichste, was überhaupt noch in der Musik da war, ein anderer brandmarkte mich sogar als den Führer der Socialdemokratie in der Musik; dagegen hatte ich beim Publikum großen Erfolg.
(an Engelbert Humperdinck, 10. Juni 1897)
Schon gleich nach der Uraufführung hatte Eugène d´Albert in seiner Eigenschaft als beratendes Mitglied des Direktoriums des ADMV um die Übersendung eines Werkes von Pfitzner gebeten; das ihm von Jedliczka überbrachte Opus 8 faszinierte ihn so, daß er seinen Einfluß für die Herausgabe des Trios geltend machte. In dem Brief, den der Komponist über diese Wendung an seinen Freund schreibt, fällt es nicht leicht, Freude und Sarkasmus auseinander zu halten:
Das Trio wird gedruckt bei Simrock. Auf d´Alberts begeisterte Empfehlung. Ich bekomme kein Honorar, nie etwas vom Verkauf. Wie froh bin ich, daß Simrock es nimmt! Ich brauche noch nicht einmal die Druckkosten zu bezahlen.
(an Paul Nikolaus Cossmann, 20. Februar 1898)
Am 24. November 1899 erlebte das Werk seine Wiener Erstaufführung: Hier gehörten Gustav und Alma Mahler, die Bruno Walter auf Pfitzner aufmerksam gemacht hatte, zu den Bewunderern dieses in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Trios.
Einen besonders hingebungsvollen Apologeten hatte Pfitzner und sein Werk in Bruno Walter, der im Herbst 1901 Mahlers Ruf nach Wien gefolgt war. Im ersten Konzert der von ihm mitbegründeten „Vereinigung schaffender Tonkünstler in Wien“ verschaffte er dem Wiener Publikum eine Gelegenheit zur Wiederbegegnung mit Pfitzners Opus 8. Seine Mitstreiter am 20. Dezember 1904 waren Arnold Rosé und Friedrich Buxbaum, und aus Max Kalbecks Rezension kann man schließen, daß sich das Freundestrio mit großem Engagement für das schwierige Werk einsetzten:
Mit einigem guten Willen und Humor konnte man auch von dem ersten Kammermusik- und Liederabend der „Vereinigung schaffender Tonkünstler in Wien“ allerlei Anregendes und Genußreiches davontragen. Hans Pfitzners Klaviertrio in F-dur, welches von den Herren Arnold Rosé, Friedrich Buxbaum und Bruno Walter sehr schön und mit anhaltender Begeisterung gespielt wurde, forderte den Eklektiker geradezu heraus. Die schwere Geduldprobe, auf die es den Zuhörer bei seiner ungewöhnlichen Länge stellt, wäre kaum zu ertragen, wenn der Ideenreichtum Pfitzners unser persönliches Interesse nicht wach erhielte. Die Menge seiner oft überraschenden und blendenden Einfälle ist das Glück des Komponisten, aber das Unglück seines Werkes. Er läßt sich zuviel und zu Verschiedenartiges auf einmal durch den Sinn gehen und kann sich von seinen Gedanken nicht zur rechten Zeit losmachen. Sie geben ihn nicht frei, sondern stehen mitunter fast feindselig gegen ihn auf, wie Kinder, die dem Vater den Gehorsam verweigern. Das mag ein erfreuliches Zeichen ihrer Lebensfähigkeit und Selbständigkeit sein, aber angenehm ist es nicht. Ueberfluß scheint nicht weniger gefährlich, als Mangel an Ideen; denn er verführt zu Weitschweifigkeit und Verschwendung. Nur wo Pfitzner sich zusammenrafft, wie in seinem überlustigen Scherzo, ist er einer nachhaltogen Wirkung sicher, und doch dünkt uns gerade dieser mit dem meisten Beifall aufgenommene Satz der schwächste seines Werkes zu sein. Für sehr bedeutend halten wir das Adagio, ein wahres Labyrinth von trügerisch in die Irre führenden Gedankengängen und Harmonien. Alle vier Sätze fangen großartig und im echten Kammermusikstil an, dann aber verlaufen und verrennen sie sich mit einem fast planmäßigen Eigensinn in Durchführungen, die dem Orchester zustreben. Wird es Pfitzner gelingen (was wir wünschen und hoffen), den Meister, der er in den meisten Stücken schon heute ist, auch in der Beschränkung zu zeigen, so ist das Höchste von ihm zu erwarten.
(Max Kalbeck, Neues Wiener Tagblatt, 24. Dezember 1904)
Der erste Satz (Kräftig und feurig, nicht zu schnell, F–Dur) liefert gleich eines der markantesten Beispiele dafür, was Pfitzner unter einem musikalischen „Einfall“ versteht: das Hauptmotiv des Satzes, ein knappes Motto von unerhörter rhythmischer Prägnanz, überfällt den Hörer förmlich und durchpulst mit seiner nie völlig versiegenden Energie noch die fernsten Verästelungen des musikalischen Gewebes. Als wollte der Komponist deutlich machen, daß mit diesem „Einfall“ eigentlich schon alles gesagt sei, läßt er – ein völlig unerhörter Vorgang – den musikalischen Diskurs unmittelbar nach der Vorstellung dieses Hauptthemas mit einer Reihe hingedonnerter Schlußakkorde abbrechen. Daß das Stück dennoch weitergeht, scheint auf den ersten Blick nur ein Zugeständnis an die Konvention zu sein – jedenfalls dürfte es schwer sein, irgendwo in der Musikliteratur eine ähnlich tollkühne Demonstration der Bruchstelle zwischen „Einfall“ und „Verarbeitung“ zu finden: schon allein dieser – mit Schopenhauer zu reden – „Kniff“ macht den Satz unvergeßlich. (Knapp dreißig Jahre später hat T. S. Eliot in der Schlußpassage von „The Hollow Men“ ähnliches mit den Mitteln der Sprache versucht.)
Mit dem zweiten Satz (Sehr langsam, cis-moll) betreten wir den innersten Bezirk des Werkes: der Satz beginnt in mehreren Anläufen mit warnenden und abwehrenden Gesten; es ist, als müßte wie im Märchen erst ein Bannkreis der Erstarrung durchschritten werden, um schließlich in das ersehnte Zauberland zu gelangen. Das Thema, mit dem wir dort empfangen werden, gehört zu den ergreifendsten Eingebungen Pfitzners. Bei der Wiederholung des Geschehens hat der Bannkreis die Gestalt einer fast unüberwindlichen Felswand angenommen – die Geste der Warnung ist zur Drohgebärde gesteigert, und die dabei in Bewegung gesetzten Klangmassen haben wirklich nichts „Kammermusikalisches“ mehr an sich. Und wenn nach der Reprise des Hauptthemas schließlich alles in wehmutvolle Ruhe zu versinken scheint, erscheint plötzlich das Abwehrmotiv des Anfangs, zu einem dissonanten Aufschrei verzerrt und in grellster Beleuchtung, und läßt den Satz hoffnungslos ersticken. Es sind diese dramaturgischen Ungeheuerlichkeiten – wann hatte man je der Ermordung eines langsamen Satzes beigewohnt? – die auch durchaus wohlmeinende Kritiker am Ende des XIX. Jahrhunderts überfordert haben müssen.
Der dritte Satz (Mäßig schnell, etwas frei im Vortrag, es-moll) ist, trotz mancher bizarren Einzelheit, der „normalste“ des Werkes (und genau deshalb der von der Kritik am ehesten akzeptierte); an kaum einer anderen Stelle seines Œuvres ist Pfitzner dem Jugendwerk Richard Strauss‘ (etwa der „Improvisation“ aus der Violinsonate op. 18 von 1888) näher. Obwohl es auch hier durchaus nicht an wilden Eruptionen und zerstörerischen Brüchen fehlt, ist der Gesamteindruck fast abgerundet – ja, Pfitzner überwindet sich sogar zu einem „konventionellen“, fast humoristischen Schluß.
Diese trügerische Versöhnlichkeit läßt die Radikalität des vierten Satzes (Rasch und wild. – Langsam. – Sehr schnell, f-moll) nur umso verheerender über uns hereinbrechen. Ein nicht enden wollender Kampf widersteitender Gefühlswelten spiegelt sich in einer formalen Zerrissenheit, die nur durch die frappante Kraft des motivischen Materials zusammengehalten werden. Auch hier wird ein Gegenbild zur Tradition des „krönenden Abschlusses“ geschaffen – die Konflikte der vorangegangenen Sätze werden nicht versöhnt, sondern verschärft. Es ist klar, daß Musik, die (nicht aus einer spielerischen Lust am Widerspruch, sondern aus schicksalhafter Notwendigkeit) solche Wege einschlägt, sich nicht die Gunst des Publikums erkämpfen kann. Nicht kollektiver Genuß ist der Gewinn, den sie verspricht, sondern die herbe Lust des Mitleidens. Es ist nicht weiter verwunderlich, daß ein Musikmarkt, der Kunstwerke nach Konsumierbarkeit und Unterhaltungswert zu klassifizieren gewohnt ist, einem Werk, dessen Radikalität und Modernität nicht im Material, sondern in der Aussage liegen, nichts abzugewinnen weiß. Aber daß Musik, die mit solcher Intensität empfangen und mit solcher inneren Konsequenz gebändigt wurde, nicht mehr spielende Verteidiger findet, ist doch irritierend. An solcher Stelle ist meist ein missionarisches „Seine Zeit wird noch kommen…“ fällig – aber ich glaube, Pfitzner bedarf ihrer nicht: er braucht, ganz einfach, nur einen Zuhörer.
© Claus-Christian Schuster