Das Ebert-Trio hat 65 Jahre nach seinem Brahms-Saal-Début eine neue Heimstatt gefunden
Im Abstand von nur wenigen Stunden haben uns am späten Abend des 31. August und am Morgen des 1. September 2013 nacheinander Wolfgang und Georg Ebert verlassen; Schwester Lotte ist ihnen am Leopolditag nachgefolgt – und damit wurde, von den Medien kaum beachtet, ein Kapitel österreichischer Kammermusikgeschichte geschlossen. Der ensemblistisch einmütige Tod der Geschwister paßt perfekt und emblematisch zu einem der Kammermusik geweihten Leben, auf das zurückzublicken sich durchaus lohnt.
Vater Ludwig (1894-1956) war ein Sohn Emil Eberts, der 1884 in Würzburg die (bis heute bestehende) pharmazeutische Großhandlung Ebert+Jacobi gegründet hatte. Nach dem frühen Tod der Eltern war er in der Obhut seiner drei älteren Schwestern aufgewachsen; sein durch den Krieg und die nachfolgende französische Kriegsgefangenschaft unterbrochenes Chemiestudium hatte er, ohne darüber seine geliebte Geige zu vernachlässigen, 1920 wieder aufgenommen und 1923, im Jahr seiner Promotion, die einer Frankfurter Kaffeegrossistenfamilie entstammende Tilly Stock (1897-1970) geheiratet, die auf bestem Wege war, eine respektable Pianistin zu werden.
Der Lebensweg der jungen Familie folgte von nun an Ludwigs akademischer Laufbahn: ein Rockefeller-Stipendium ermöglichte ihm nach Abschluß seiner regulären Studien in Würzburg einen Studienaufenthalt bei Niels Bjerrum in Kopenhagen, wo 1924 der erste Sohn, Wolfgang, zur Welt kam; danach führten ihn ein Folgestipendium und sein Interesse für die Kryochemie zu Willem Hendrik Keesom nach Leiden – hier wurde dem Ehepaar 1926 die einzige Tochter, Käthe Lotte, geboren. Und schließlich konnte er sich bei Nobelpreisträger Fritz Haber in Berlin habilitieren, wo 1928 die Zwillinge Georg und Klaus die Familie vervollständigten. Der Berlinaufenthalt war für die junge Mutter besonders genußreich: Hier konnte sie nämlich ihre Klavierstudien bei Siegfried Ochs fortsetzen und beenden.
So wuchsen die vier Kinder in einem musikdurchtränkten Umfeld auf. Schon in Würzburg, wohin der Vater bald nach der Geburt der Zwillinge als außerordentlicher Universitätsprofessor berufen worden war, und ab 1934 in Karlsruhe, wo er die Stelle des im Jahr davor aus „rassischen“ Gründen pensionierten Georg Bredig als Odinarius des traditionsreichen Instituts für physikalische Chemie annahm, widerhallte das großbürgerliche Haus Ebert vom Üben der Kinder und der emsig betriebenen Hausmusik der Eltern. Daß sich Wolfgang als der älteste dem Cello widmete, eröffnete dem häuslichen Musizieren schon bald das Wunderreich des Klaviertrios. Lotte schwankte kurz zwischen den Instrumenten der Eltern, bevor sie sich endgültig für die Geige entschied; daneben pflegte sie ihr außergewöhnliches bildnerisches Talent, indem sie das Familienleben mit reizenden Scherenschnitten dokumentierte, die bis heute ein sorgfältig gehüteter Schatz des Familienarchivs sind. Von den Zwillingen, die sich zunächst mit der Blockflöte begnügten – noch Lottes Scherenschnitt von 1941 illustriert dieses Frühstadium des Ebertschen Kinderquartetts –, wandte sich Georg schon bald der Klarinette, und Klaus, dem älteren Bruder nachstrebend, dem Cello zu.
Alle diese musikalischen Ambitionen wurden durch die 1940 erfolgte Übersiedlung nach Wien entscheidend gefördert: Hierher hatte man Ludwig Ebert nach einem kurzen Intermezzo in Greifswald berufen, ohne daß er die Früchte seiner bis heute anerkannten Aufbau- und Organisationsarbeit in Karlsruhe ernten hätte können. Daß er dem Ruf nach Wien trotzdem ohne zu zögern folgte, hatte sicher auch mit der Aussicht auf die bestmögliche Förderung der musikalischen Talente der Kinder zu tun.
Ein standesgemäßes Domizil findet sich in der nach dem Physiker Andreas von Ettingshausen benannten Döblinger Gasse – schon das ein gutes Omen. Das Konzert-, Opern- und Theaterleben der Stadt bietet Eltern und Kindern reichlich Anregung. In der von Gottfried Preinfalk geleiteten Wiener Rundfunk-Spielschar („HJ-RS 15“), die an den Dienstagabenden jeweils Direktübertragungen zu bestreiten hat, sammeln alle vier Geschwister erste Orchestererfahrungen; der Verpflichtung zu allen anderen „Pimpfen-“ und „HJ-“ oder „BDM-“Aktivitäten weicht man hingegen unter Hinweis auf die vorrangigen musikalischen Studien geschickt aus – ihre kritische Haltung gegenüber dem Regime hat Mutter Tilly schon zuvor mit der ostentativen Zurückweisung des ominösen „Mutterkreuzes“ demonstriert. Obwohl Georg als Schüler der Klarinettenlegende Leopold Wlach so begabt ist, daß sogar das jüngere Wunderkind Alfred Prinz in ihm einen ernsthaften Konkurrenten zu sehen vermeint, findet er bald im Klavier seine eigentliche Berufung. Gleich nach Abschluß seiner Pflichtschulzeit bricht er das Gymnasium ab, um sich ganz der Musik widmen zu können (daß er so nebenbei auch dem verhaßten Dienst als „Flakhelfer“ entgeht, ist ein nicht unerwünschter Nebeneffekt dieser Entscheidung); Josef Dichler wird sein Klavierlehrer. Seine Geschwister bleiben der Schule in der Gymnasiumstraße treu. Wolfgang, der in Richard Krotschak einen herausragenden Pädagogen gefunden hat, muß 1943 ins Feld, während Lotte ihr Geigenstudium bei dem erfahrenen Quartettisten Ernst Morawec fortsetzen kann. Klaus entscheidet sich trotz der Fortschritte, die er als Cellist in den Klassen von Krotschak (dessen Frau Grete ihm zur „zweiten Mutter“ wird) und Wilhelm Winkler macht, zwar schließlich für die Wissenschaft, komplettiert aber während der kriegsbedingten Abwesenheit des großen Bruders das Haustrio.
Als Wolfgang am 13. Mai 1945, dem 19. Geburtstag seiner Schwester, aus dem Krieg heimkehrt, liegt das Wiener Elternhaus schon seit zwei Monaten in Schutt und Asche. Zunächst findet man in Strobl am Wolfgangsee eine provisorische Unterkunft – und im Salzkammergut fühlt sich die Familie so wohl, daß man im folgenden Jahrzehnt immer wieder auf Sommerfrische hierher zurückkommt: Die Pension Praunfalk in Bad Aussee bietet lange Zeit hindurch einen idealen Zweitwohnsitz, an dem man fast ein Drittel des Jahres zu verbringen pflegt, und die Liebe zu dieser Landschaft wird sich noch viele Jahrzehnte später in Wolfgangs akribischer musikgeschichtlicher Lokalstudie „Brahms in Aussee“ (1997) niederschlagen. Bad Aussee ist auch der Schauplatz erster Wettbewerbserfolge der jungen Musiker, die inzwischen viele wertvolle Erfahrungen sammeln konnten: Georg bei Meisterkursen von Friedrich Wührer und Edwin Fischer, Lotte im Unterricht von Vaša Přihoda, Ricardo Odnoposoff und Wolfgang Schneiderhan, und Wolfgang bei Enrico Mainardi. Hier, in Bad Aussee, schlägt auch die Geburtsstunde des Ebert-Trios: Am 23. Juli 1948 treten Georg, Lotte und Wolfgang mit Mozarts letztem Klaviertrio (G-Dur, KV 564) hier ein erstes Mal öffentlich auf. Haydns unverwüstliches „Zigeuner-Trio“ und Schuberts Opus 99 sind die nächsten Werke im Repertoire des jungen Trios, über das Wolfgang von Anfang an penibel Buch führt. Im Brahms-Saal des Wiener Musikvereins findet dann am 21. März 1949 das „offizielle“ Début des Ensembles statt.
So stürmisch entwickelt sich die Karriere des Trios, daß Wolfgang ohne langes Bedenken seine Stelle als Cellist des Niederösterreichischen Tonkünstlerorchesters aufgibt, um sich ganz der neuen Aufgabe zu widmen. Bis zum feierlichen Abschiedskonzert, mit dem das Ebert-Trio am 15. Mai 1990 seine 42jährige Tätigkeit beendet, wird Wolfgang nicht weniger als 1546 Konzertauftritte in seiner Chronik verzeichnen können, fast die Hälfte davon in Deutschland, etwa ein Fünftel in Österreich (wo die Auftritte im Brahms-Saal ein Fixpunkt bleiben) und der Rest verteilt auf Italien und ein Dutzend weiterer Länder. Seit dem Jänner 1952 spielt man etwa die Hälfte des – zuletzt an die hundert Werke, darunter 15 zumeist dem Ensemble gewidmete Trios lebender österreichischer Komponisten umfassenden – Repertoires auswendig, auch darin wie in der sorgfältigen Dokumentation des eigenen Wirkens dem legendären Trio di Trieste nacheifernd. 1957-1960 ist mit jeweils rund 100 Konzerten pro Jahr der Zenit der Tätigkeit erreicht; aber erst nach 1974 – Georg ist inzwischen als Professor an die Wiener Musikhochschule berufen worden – reduziert man die Anzahl der Auftritte drastisch, um sich zwischen 1979 und 1985 überhaupt eine siebenjährige „Sabbat-Ruhe“ zu gönnen, bevor sich das Ensemble in den seltenen Auftritten der allerletzten Triojahre bis 1990, von einem Berliner Abschiedskonzert im Oktober 1989 abgesehen, im wesentlichen auf Wien beschränkt.
In der österreichischen Triogeschichte nimmt das Ebert-Trio eine Pionierstellung ein: Ein Jahrzehnt vor dem fulminanten, aber kurzlebigen „Jungen Wiener Trio“ (Buchbinder/Guth/Litschauer) und lange vor dem Haydn-Trio hat das Ensemble bewiesen, daß das Triospiel eine lohnende Lebensaufgabe sein kann.
Ob sich ihm jetzt, an anderem Ort, ein neues Wirkungsfeld eröffnet?
Gleichviel: Wir, die wir als Musiker und Zuhörer die Nutznießer ihrer mutigen Entscheidung sind und bleiben, schulden ihnen Dank.