* Bonn, 16.(?) Dezember 1770
† Wien, 26. März 1827
„Monsieur, L’auteur vivement penetré de votre munificence aussi délicate que liberale se rejouit de pouvoir le dire au monde en vous dédiant cet oeuvre. Si les productions de l’art, que vous honorez de votre protection en connaisseur, dependaient moins de l’inspiration du genie que de la bonne volonté de faire de son mieux, l’auteur aurait la satisfaction tant desirée de présenter au premier mécène de sa muse la meilleure de ses oeuvres.“
Auch wenn uns diese kunstvolle (oder sollen wir sagen: gekünstelte?) Widmung der drei Streichtrios Opus 9 nicht vorläge, würde sich jedem hörenden Ohr die außergewöhnliche Qualität dieser Werke sofort erschließen. Allzuviel wurde über die – in der Tat etwas verblüffende – Bezeichnung von Johann Georg von Browne-Camus als „erster Mäzen“ Beethovens gerätselt, und die (unbestreitbare) Bedeutung der Werke für Beethovens Weg zu der für sein Schaffen so zentralen Gattung des Streichquartetts betont: All das hat den Blick auf den überragenden Eigenwert, die Originalität und Gedankentiefe dieser im Konzertsaal leider nur selten zu hörenden Meisterwerke verstellt.
Das abschließende C-moll-Trio ist vielleicht das imponierendste der drei Werke. Die hier herrschende Ökonomie und Stringenz sind sogar für Beethovensche Maßstäbe außergewöhnlich. Hängt das vielleicht damit zusammen, daß Beethoven hier – erst das zweite Mal in seinem „offiziellen“ Oeuvre – „seine“ ureigenste „Leibtonart“ c-moll gewählt hat? Unbestreitbar ist jedenfalls, daß alle vier dem C-moll-Streichquartett op. 18 Nr. 4 vorangehenden C-moll-Werke – das Klaviertrio op. 1 Nr. 3, unser Streichtrio, die (der Gattin von Johann Georg Browne-Camus gewidmete) Klaviersonate op. 10 Nr. 1 und die „Sonate pathétique“ in Ductus und Localcolorit eng miteinander verwandt und ganz besonders zwingend sind.
Das Viertonmotiv, das Beethoven als Incipit des Kopfsatzes gewählt hat, bewährt sich als ausnehmend fruchtbarer Nährboden, auf dem die nachfolgenden sechs kleinräumigen Motive prächtig und vital gedeihen. Die Logik ihrer Abfolge ist so organisch, daß es widerstrebt, das – ohne Probleme benennbare und erkennbare – Schema der „Sonatenhauptsatzform“ (einer akademischen post festum Erfindung des XIX. Jahrhunderts) zur Sprache zu bringen. Auffällig und außergewöhnlich ist aber, daß Beethoven hier die Wiederholung nicht nur der Exposition, sondern auch von Durchführung und Reprise, ausdrücklich einfordert, und dem Ganzen eine hochbedeutende Coda folgen läßt; daß diese Forderung des Komponisten hier (ebenso wie im Kopfsatz des „Geistertrios“) heutzutage habituell ignoriert wird, zählt zu den vielen sanktionierten Unarten unseres neunmalklugen und ungeduldigen Zeitalters.
Am C-Dur-Adagio findet die Musikwissenschaft vor allem das Factum bemerkenswert, daß Beethoven hier die Durvariante des viertönigen Incipits des ersten Satzes (mit a statt as) als Ausgangspunkt verwendet, und daß sich diese Keimzelle hier als nicht weniger fruchtbar erweist. Noch weit bemerkenswerter finde ich aber, daß Beethoven hier in der „Durchführung“ – ja, er verwendet hier, gar nicht so alltäglich in einem langsamen Satz, die Grundstruktur der Sonatenhauptsatzform – die ersten beiden Takte des „Hauptthemas“ in so berückend klangschöner und reicher Weise variiert, daß man sich nur widerstrebend mit der Kürze dieses Teils (11 Takte) abfindet, wie denn überhaupt der ganze Satz sehr knapp (55 Takte) gehalten ist.
Im trotzigen und ruppigen Scherzo, in dem die Molldominante und die obsessive Betonung des zu ihr führenden fallenden Halbtonschrittes as-g (der ja die zweite Hälfte der viertönigen Keimzelle des ganzen Werkes darstellt und schon in der wehmütigen Abschiedswendung des vorigen Satzes bedeutungsvoll erklungen ist) für einen grimmigen – Brahms hätte gesagt „brummigen“ – Unterton sorgen, relativiert Beethoven die Unversöhnlichkeit des Tones mit einem die fallenden Molldreiklänge spiegelbildlich umkehrenden und in Dur verwandelnden, anmutig-zärtlichen Trio. Das schon in den vorangegangenen beiden Werken des Opus 9 angestellte Experiment, dem Redundanz-Automatismus der Abfolge Scherzo-Trio-Da capo zu entfliehen, führt Beethoven hier zu einem dritten Modell: diesmal schreibt er das Da capo aus und deutet von den beiden Wiederholungen des Hauptteils nur die zweite, gewissermaßen „stenographisch“ an.
Der Finalsatz weist bemerkenswerte und gewiß nicht zufällige Parallelen zu dem analogen C-moll-Prest(issim)o-Satz auf, mit dem Beethovens Opus 1 endet. Zusätzlich zu der schon dort herrschenden Atemlosigkeit und Unbehaustheit fällt hier die Dominanz der in die Tiefen stürzenden Gesten auf, die im vorangehenden Scherzo noch eine spielerische Miene hatten; nur selten wird einem melodischen Einfall Raum zur Entfaltung gegeben: es ist, als stünde über dem Satz des Goethesche „Spute dich, Kronos“ als Motto.
© Claus-Christian Schuster