Wolfgang Amadeus Mozart
* Salzburg, 27. Jänner 1756
† Wien, 5. Dezember 1791
Trio für Klavier, Violine und Violoncello, G-Dur, KV 564
komponiert: Wien, beendet am 27. Oktober 1788 (IX., Währingerstraße 26)
Uraufführung: nicht dokumentiert
Erstausgabe: Artaria, Wien, Oktober 1790
Mozarts Hoffnung, mit dem Don Giovanni jenen materiellen Erfolg zu erzielen , der Le nozze di Figaro versagt geblieben war, erwies sich als trügerisch: Der triumphalen Prager Uraufführung (29. Oktober 1787) folgte ein halbes Jahr später (7. Mai 1788) die von Anfang an unter einem schlechten Stern stehende Wiener Produktion. Wenige Wochen später dokumentierte die Aufgabe des luxuriösen Innenstadtquartiers und Mozarts Übersiedlung auf den Alsergrund auch äußerlich die finanzielle Misere, in der sich die Familie befand. Daß die unmittelbar darauffolgenden Monate die produktivsten in Mozarts Leben werden sollten, ist schon oft als schlagender Beweis für die „Bedingungslosigkeit“ künstlerischen Schaffens angeführt worden – am häufigsten freilich von jener Seite, die sich durch eine solche Erkenntnis freudigst von allen Verpflichtungen der Kunst gegenüber entbunden glaubt.
Aber schon ein flüchtiger zweiter Blick zeigt, daß die Unabhängigkeit und Voraussetzungslosigkeit eine nur sehr bedingte ist: Wahrscheinlich ist kein einziges der in diesen schaffensreichen Monaten entstandenen Werken ohne unmittelbaren äußeren Anlaß geschrieben worden. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß – wie etwa im Fall der Triade der letzten Symphonien – diese „Anlässe“ oft genug Projekte waren, die sich dann (eben aus materiellen Gründen) nicht verwirklichen ließen.
Von den drei Werkgattungen, die Mozart in diesem Schaffensabschnitt zum letzten Mal bedenkt (Symphonie, Violinsonate, Klaviertrio), ist jene des Klaviertrios die für sein Schaffen sicher am wenigsten konstitutive. Vielleicht auch deshalb entspricht dieses letzte Klaviertrio so gar nicht dem Topos des „letzten, krönenden“ Werkes – jenem Topos, den gerade die letzten Symphonien entscheidend mitgeprägt haben.
Waren schon im Sommer die Kammermusikwerke zwischen den monumentalen Symphonien gleichsam in Momenten der Entspannung entstanden, so darf man in KV 564 in übergreifenderem Sinne ein Postskriptum zu dem überreichen Gesamtwerk dieser kritischen Monate sehen. Wie schon in der C-Dur-Klaviersonate („eine kleine klavier Sonate für anfänger“) und der F-Dur Violinsonate („eine kleine klavier Sonate – für Anfänger mit einer Violin“) sind die technischen Ansprüche in Hinblick auf häusliches Musizieren ( – etwa mit Michael Puchberg – ) niedrig gehalten, wenn auch das Klaviertrio in seinem ersten Satz einen deutlich konzertanteren Ton aufweist als die beiden Sonaten. Das Autograph legt die Vermutung nahe, daß das Werk ursprünglich als Klaviersonate konzipiert war und erst nachträglich – wahrscheinlich in Hinblick auf einen uns unbekannten konkreten Anlaß – zum Klaviertrio umgearbeitet wurde.
Das Allegro spielt in gelöstester und glücklichster Manier mit dem Motiv einer fallenden Terz – wie ein quasi monothematischer Satz unter Aussparung dramatischer Komplikationen so abwechslungsreich und fesselnd sein kann, ist ein beglückendes Rätsel.
Das Andante (C-Dur) unterzieht ein volksliedhaftes Thema sechs ganz schlichten Variationen, von denen die ersten drei sich auf einfache figurale Umspielung beschränken, während die folgenden beiden die schon im Thema manifesten imitatorischen Möglichkeiten nacheinander in Dur und Moll skizzenhaft umreißen. Mit dem Minore ist auch die dramaturgische Mitte des ganzen Werkes und der einzige Moment drohender Vereinsamung erreicht; schon die folgende Schlußvariation zerstäubt diese Gefahr in einen schwerelos beschwingten Tanz. Auf diese Weise finden sich der dunkelste und der hellste Ton des Werkes in unmittelbarer Nachbarschaft und halten das Werk aus seiner Mitte heraus im Gleichgewicht.
Das abschließende Allegretto ist eine Siciliana in Rondoform. Das Ritornell ist auf naiv-raffinierte Weise phrasiert, in dem die Baßlinie im Wechsel von abschließenden Viertel- und Achtelnoten zwischen zögernder Frage und tänzerischem Schwung irisiert. Die beiden Rondo-Episoden sind in subtiler Antithese aufeinander bezogen, indem die erste, ein unmißverständlich „französisches“ Minore, der Siciliana empfindsame Töne entlockt, während die andere den eleganten metrischen Duktus des Satzes ganz verläßt, um uns auf einer „teutschen“ Tenne mit bäurischer Ausgelassenheit tanzen zu lassen. Die Coda ist in ihrem unprätentiosen Einfallsreichtum ein würdiger Schlußpunkt für Mozarts Klaviertriowerk. Wer sich erst einmal von der (in repräsentationshungrigen Zeiten gerne genährten) Erwartung gelöst hat, jede Werkgruppe im Schaffen eines Genies müsse auf ein alles zuvor Begonnene überragendes Erfüllungswerk zustreben (also etwa einem Pendant zu „Jupiter-Symphonie“ oder Requiem), wird die innige und unbeschwerte Einfachheit dieses Abschlußwerkes nicht als Schwäche, sondern als unverdiente Gnade erleben.
© Claus-Christian Schuster