Antonín Dvořák
* Nelahozeves, 8. September 1841
† Prag, 1. Mai 1904
Klavierquintett Nr. 1, A-Dur, op. 5 [B 28]
komponiert: Prag, August 1872; umgearbeitet in Prag und Vysoká, April bis Juli 1887
Uraufführung der Erstfassung: Prag, Convict-Saal, 22. November 1872
Karel Slavkovský (1845-1919), Klavier
Vojtěch Hřímalý jun. (1842-1908), Violine
Josef Krehan, Violine
Wilhelm Bauer, Viola
Alois Neruda (1837-1899), Violoncello
Uraufführung der revidierten Fassung: Prag, Konservatorium, 29. März 1922
Fr. Bartová, Klavier
Jaroslav Štěpánek (1905-?), Violine
Bedřich Ort (1902-?), Violine
Josef Kudrnovský, Viola
Josef Fikais, Violoncello
Erstausgabe: Editio Supraphon, Prag 1959 (Dvořák-Gesamtausgabe Serie IV, Band 11/1)
Man könnte die Gattung des Klavierquintetts als das „Leitfossil“ der Hochblüte der Kammermusik bezeichnen: Entstehung und Aufführung von Werken dieses Genres waren meist nur dort möglich, wo es schon ein dichtes Netz von kamnmermusikalischen Traditionen und Aktivitäten gab. Kein Wunder also, daß das erste wirklich „klassische“, das heißt jenseits aller Spezialinteressen und Wiederbelebungsversuche bis heute omnipräsente Werk dieser Gattung, Schumanns Es-Dur-Quintett op. 44, erst 1842 – also ein gutes halbes Jahrhundert nach den ersten Klassikern der Genres Streichquartett und Klaviertrio – entstanden ist. Und ebenso wenig ist es ein Zufall, daß dieses Schumannsche Paradigma in Prag besonders lange und intensiv nachwirkte. Denn nirgendwo war Schumanns Botschaft auf fruchtbareren Boden gefallen als hier – und Schumanns epochemachende Neue Zeitschrift für Musik zählte schon ein Jahr nach ihrer Gründung (1833) in Prag ebensoviele Abonnenten wie in Dresden und Hamburg zusammen. Der Prager „Davidsbund“, dem mit August Wilhelm Ambros und Eduard Hanslick Zentralfiguren auch der späteren österreichischen Musikgeschichte angehörten, erfüllte den spätestens seit Mozarts Triumphen weithin anerkannten Ruf Prags als Musikmetropole mit neuem Leben und strafte jene „angeblich gut informierten“ Ratgeber Lügen, deren Cassandrarufe Hector Berlioz im Kapitel LIII seiner Mémoires zitiert:
„Gehen Sie nicht nach Prag, sagte man mir, das ist eine Pedantenstadt, wo man nur die Werke der Toten zu würdigen weiß: die Böhmen sind hervorragende Musiker, das ist wahr, aber nach der Art der Professoren und Schulmeister ; für sie ist alles, was neu ist, abscheulich, und es ist anzunehmen, daß Sie an ihnen keine Freude haben werden.“
Daß Berlioz dieser Warnung nach seinen fulminanten Prager Erfolgen rückblickend jenen von der tschechischen Tourismusindustrie weidlich ausgenützten Sehnsuchtsruf „O Praga! Quando te aspiciam!“ entgegensetzt, ist Musikgeschichte. Und in Prag schrieb man Musikgeschichte mit einer Ausdauer und Vitalität, wie man sie nicht häufig findet – und das, obwohl niemand der Diagnose des Prager Davidsbündlers Franz Balthasar Ulm widersprechen mochte, daß es nämlich eine geradezu unlösbare Aufgebe darstelle, „die disparaten Mitglieder unserer zerklüfteten Gesellschaft von Musikern und Musikfreunden unter einen Hut zu bringen“.
Anlaß zu dieser bitteren Diagnose hatte das vorzeitige Abschiedskonzert des hochverdienten Antonín Apt (1815-1887) gegeben, der im März 1865 mit dem 117. Konzert des von ihm 1840 gegründeten und seither geleiteten Cäcilienvereins, der neben Orchester- und Chorwerken auch der Kammermusik ein Podium geboten hatte, sein Wirken beendete. Aber es wäre nicht Prag gewesen, hätte sich nicht sogleich neues Leben geregt: In Ludevít Procházka (1837-1888) fand das Prager Musikleben einen jungen, phantasievollen Anreger und tatkräftigen Förderer. Schon während seines Jusstudiums war Procházka Klavierschüler Bedřich Smetanas gewesen, dessen treuer Verehrer und Verteidiger er zeitlebens bleiben sollte, hatte sich 1861 an der Gründung der bis heute bestehenden Chorvereinigung Hlahol, 1863 gemeinsam mit Smetana (der im selben Jahr Leiter des Hlahol wurde) an der noch folgenreicheren der Umělecká beseda beteiligt, wo er als Sekretär der Musiksektion wirkte, und war außerdem seit 1865 als Musikkritiker der einflußreichen Národní listy tätig. Neben seinem „bürgerlichen“ Beruf als wohlbestallter Magistratsbeamter gab er seit 1870 eine eigene (bis 1875 bestehende) Musikzeitschrift, die Hudební listy, heraus und gehörte 1871 zu den Initiatoren der für das tschechische Musikleben der nächsten Jahrzehnte unentbehrlichen Verlagsgesellschaft Hudební matice.
Da Procházka nach dem Rückzug Apts das Fehlen eines Prager Forums für die Präsentation neuer Musik als besonders schmerzlich empfand, entschloß er sich kurzerhand, eine eigene Kammermusikreihe ins Leben zu rufen.
Die zunächst formlos als Hauskonzerte in Procházkas Neustädter Wohnung in der Ječná ulice (Gerstengasse) 7 abgehaltenen Zusammenkünfte genossen bald den besten Ruf. Am 10. Dezember 1871 konnten die Zuhörer hier die erste öffentliche Aufführung eines Werkes des immerhin schon dreißigjährigen Antonín Dvořák hören, der erst wenige Monate zuvor sein relativ ruhiges und sicheres Bratschistendasein in dem von Smetana geleiteten Theaterorchester zugunsten einer ungewissen Zukunft als freischaffender Komponist aufgegeben hatte: Vzpomínání (Gedenken), das letzte der fünf Lieder (B 23), die Dvořák kurz zuvor auf gerade erst veröffentlichte Gedichte der jungen Eliška Krásnohorská (i. e. Alžběta Pechová, 1847-1926), Smetanas späterer Librettistin, geschrieben hatte. Offenbar fand dieses Début Anklang bei Hörern und Veranstalter, denn schon im April 1872 wurden im selben Rahmen Dvořáks Lieder Proto (Darum, die zweite der Vertonungen aus dem Krásnohorská-Zyklus B 23) und Sirotek (Das Waisenkind, B 24) auf einen Text des 1870 verstorbenen Karel Jaromír Erben (dessen 1853 erschienenes Kytice z pověstí národních (Blumenstrauß von Volkssagen noch 1896 die Vorlagen zu vier der fünf symphonischen Dichtungen Dvořáks liefern wird) aufgeführt. (Dieses letztere Lied trug ursprünglich die später auf unser Klavierquintett übergegangene Opusnummer 5.) Kurz darauf präsentierte Ludevít Procházka seinen Zuhörern das Adagio aus einem der beiden (später von Dvořák vernichteten) Klaviertrios op. 13 (B 25-26).
Da Procházkas Hauskonzerte – wohl nicht zuletzt wegen der Qualität der hier vorgestellten neuen Werke – ein immer zahlreicheres Publikum anzogen, mußte man bald in einen richtigen Konzertsaal übersiedeln. Das erste Konzert dieser unentgeltlich zugänglichen Matinéenreihe fand am Freitag, dem 22. November 1872, im traditionsreichen Convict-Saal statt. Das Programm dieses Mittagskonzertes wurde gleich mit dem gewichtigsten und längsten Werk, der Uraufführung von Dvořáks Quintett, eröffnet. Die Autorenliste der nachfolgenden Kompositionen gibt nicht nur einen Eindruck von Procházkas Überparteilichkeit, Weltoffenheit und Zurückhaltung (seine eigenen Kompositionen programmierte er fast nie), sondern auch von der bewundernswerten Aufnahmebereitschaft des Prager Publikums: Lieder von Zdenko Fibich (1850-1900), von Betty Hanušová, seiner zukünftigen Schwägerin und späteren zweiten Frau gesungen, von Robert Franz (i. e. Robert Knauth, 1815-1892) und Richard Wagner, Werke des von Hans von Bülow so hochgeschätzten Joachim Raff (1822-1882) und des in Wien als Verleger (und später als unermüdlicher Bibliograph) tätigen Johann Peter Gotthard (i. e. Bohumil Pazdírek, 1839-1919), sowie die von Karel Slavkovský, der 1878 auch Dvořáks Klavierkonzert aus der Taufe heben wird, vorgetragenen Klavierstücke des (später in St. Petersburg wirkenden) Organisten Vojtěch Hlaváč (1849-1911) und des in Prag und Paris ausgebildeten Polen Władysław Želeński (1837-1921) bildeten das überreiche Programm dieses Mittagskonzertes.
Daß mit Wagner der älteste der vertretenen Komponisten 59, die Mehrzahl der anderen aber zwischen 22 und 35 Jahre alt waren, scheint keinem der zahlreichen Musikfreunde, die sich an diesem Tag zusammenfanden, das Gefühl vermittelt zu haben, an einer provokanten Avantgarde-Veranstaltung teilzunehmen; doch deutsche, tschechische und polnische Gegenwartsmusik in dieser Weise zu vereinen, war in einer Atmosphäre stetig wachsender nationaler Spannungen sicher weder alltäglich noch unumstritten. Gerade der Zusammenklang all dieser verschiedenen Idiome und Strömungen hat aber als Umgebung für die Uraufführung von Dvořáks Quintett geradezu symbolische Bedeutung: Denn in dieser Partitur, die im Jahr nach der Vollendung der Erstfassung der komischen Oper Král a uhliř (König und Köhler, B 21), eines besonderen Sorgenkindes im Œuvre des Komponisten, entstand, sind die sich allmählich zu einem Personalstil von ganz unverwechselbarer Eigenart klärenden Tendenzen, in denen sich die widersprüchlichen Erfahrungen der zwölf Orchesterjahre des Verfassers auf ganz eigentümliche Weise widerspiegeln, besonders deutlich vernehmbar. Wahrscheinlich ist es die außergewöhnliche Komplexität dieser Schaffenssituation, die das recht unglückliche Schicksal des Werkes mitbestimmt hat.
Der anonyme Rezensent der Hudební listy (etwa Ludevít Procházka selbst?) lobt die „lebendige, mit schwungvollen und poetischen Gedanken überschäumende Phantasie, die Gewandtheit und Kühnheit in der Harmonisierung und den Modulationen sowie in der polyphonen Verflechtung der Stimmen und der Instrumentation“, prophezeit dem Werk aber abschließend: „Solange in ihm noch allzusehr, wenn auch noch so interessante, so doch willkürliche „Einfälle“ vorherrschen, so lange wird es nicht zu organischer Geschlossenheit, klarer Übersichtlichkeit und ästhetischem Ebenmaß gelangen.“ Dieses Verdikt muß freilich vor dem Hintergrund der Tatsache gesehen werden, daß dem Publikum der bis zu diesem Punkt schon durchlaufene, facetten- und entwicklungsreiche Werdegang des Komponisten (mit Ausnahme der erwähnten drei Lieder und des Triosatzes) unbekannt war, die Richtung seiner Bestrebungen und das Potential seiner Schaffenskraft also überaus schwer beurteilbar bleiben mußte.
Es ist unwahrscheinlich, daß das Werk nach dieser Premiere in seiner Urgestalt noch einmal öffentlich aufgeführt wurde. Erst knapp anderthalb Jahrzehnte nach der Niederschrift des Stückes, am 20. März 1887, nachdem Dvořák das Werk nicht lange davor noch in einem Verzeichnis „zerrissener und verbrannter“ Kompositionen angeführt hatte, wendet er sich mit folgenden Zeilen an seinen alten Förderer Ludevít Procházka, der schon 1878 mit seiner vom legendären Bernhard Pollini als dramatischer Sopran an die Hamburger Oper engagierten Frau Marta Reissingerová dorthin übersiedelt war:
Milý příteli!
Pamatujete se ještě na onen kvintet (A dur) s klavírem, který asi před 14 lety zásluhou Vaší poprvé v Praze hrán byl?
Nemohu se nikde dopídit své partitury, jenom vím, že Vy jste si dal onen kvintet opsat a snad jej ještě máte. Kdyby tak bylo, prosil bych Vás snažně mně jej laskavě zapujčit, dal bych si jej opsat.
Nyní tak někdy rád se koukám na své staré hřichy i rád bych tento po dlouhém čase viděl.
Račte mi laskavě korespondenčním lístkem dáti zprávu.
Vam vždy oddaný
A. Dvořák
Lieber Freund!
Erinnern Sie sich noch an jenes Klavierquintett (A-Dur), das durch Ihr Verdienst vor etwa 14 Jahren in Prag zum ersten Mal gespielt wurde?
Ich kann meine Partitur nirgends auffinden, weiß jedoch, daß Sie sich jenes Quintett haben abschreiben lassen, und hoffe, daß Sie es noch haben. Falls dem so wäre, bäte ich Sie inständig, es mir liebenswürdigerweise zu leihen, damit ich es abschreiben lassen kann.
Zurzeit betrachte ich ab und zu gerne meine alten Sünden, und diese würde ich nach langer Zeit gerne wiedersehen.
Ich bitte Sie höflich, mir mittels einer Postkarte Nachricht zu geben.
Ihr Ihnen immer ergebener
A. Dvořák
Procházkas Antwort ist zwar nicht erhalten, aber die im Prager Nationalmuseum aufbewahrte Abschrift mit den 1887 von Dvořák eigenhändig vorgenommenen Änderungen beweist, daß Procházka diese 1872 für die Uraufführung angefertigte Kopie dem Autor aus Hamburg zurückgesendet hat – ein Unterfangen, das angesichts der damaligen Verläßlichkeit und Schnelligkeit der Post nicht annähernd so riskant war, wie es uns heute erscheinen mag. Das Ausmaß der in der Folge (offenbar zwischen April und Juli 1887) vorgenommenen Retouchen und Kürzungen legt nahe, daß der Vater über die erbetene Heimkehr des verlorenen Sohnes nicht restlos glücklich werden konnte. Wie tiefgreifend vor allem die formalen Eingriffe waren, läßt sich schon rein statistisch ermessen: Der in der revidierten Fassung 230 Takte lange Kopfsatz hatte in der ursprünglichen Version um wenigstens 152 Takte mehr, und auch das jetzt noch 106 Takte zählende Andante war in der Urfassung um mindestens 24 Takte länger. Daß das Finale seine volle Länge von 468 Takten behalten durfte, zeugt wohl weniger von zunehmender Milde als von abnehmendem Interesse des Komponisten-Korrektors. Irgendwann vor dem 18. August 1887 muß Dvořák dann zu dem Schluß gekommen sein, es sei besser, gleich ein ganz neues A-Dur-Quintett zu schrieben – denn an diesem Tag beginnt er in Vysoká, wo er sich schon seit der zweiten Maihälfte aufhält, die Niederschrift seines berühmten Opus 81, das es der Nachwelt sehr schwer machen wird, jenes jugendliche Opus 5 – in welcher Gestalt auch immer – im Gedächtnis zu behalten.
Unsere heutige Aufführung folgt dem 1959 erstmals in der Dvořák-Gesamtausgabe vorgelegten gekürzten Text von 1887, weil dieser, totz des Abbruchs der Umarbeitung, den Intentionen des Komponisten und seinen ästhetischen Ansprüchen wohl näher kommt als die (ungedruckt gebliebene und nicht zweifelsfrei rekonstruierbare) Urfassung von 1872. In dieser 1887 von Dvořák liegengelassenen Gestalt ist formal vor allem der Kontrast zwischen den radikal gekürzten ersten beiden Sätzen und dem weitgehend unbearbeitet gebliebenen Finale bemerkenswert.
Dem ersten Satz (Allegro ma non troppo), dessen Form durch die Auslassung des ganzen Seitenthemenkomplexes in der Reprise besonders drastisch verknappt wurde, gibt dieser Eingriff eine fast aphoristische Erscheinung, die in einem aparten Spannungsverhältnis zu dem episch-ausladenden Gestus des Ganzen steht, gleichzeitig aber einigen auffälligen Zügen der Vorlage (wie etwa schon dem fragenden Sextakkord anstelle des dort erwarteten grundständigen Dreiklanges im zweiten und vierten Takt) ideal entspricht. Über seine harmonische Wanderlust läßt uns weder der junge noch der reife Dvořák im Unklaren: der achttaktige Eröffnungssatz des Klaviers wird von den Streichern sofort im weit entfernten G-Dur (der Wechselsubdominante) aufgegriffen und erweitert, aber nur, um uns sogleich auf eine abenteuerliche Modulationsreise zu schicken, die nur auf großen Umwegen zur traditionellen Dominante des Seitensatzes führt. Daß die rhythmische Signatur des Seitenthemas direkt aus jener des Hauptthemas entwickelt ist, hat Dvořák wahrscheinlich zu der oben erwähnten Kürzung bewogen; denn eben diese emblematische Signatur, mit der das Werk einsetzt, durchpulst den ganzen Satz ohnehin schon in ihrer Ausgangsgestalt, Diminution und Augmentation.
Das in der Submediante F-Dur stehende Andante sostenuto setzt diese tonale Drift gleich fort, indem die eröffnende (durch Verschränkung von Vorder- und Nachsatz auf 15 Takte verknappte) Periode nicht wieder nach Hause findet, sondern sich in das unwirtliche Cis-Moll (eben die Mollsubmediante von F-Dur) verirrt. Diese Verirrung wird im Klavier von einem kleinräumigen ostinaten Dreitonmotiv begleitet, dessen weitausgesponnene Wiederaufnahme unmittelbar vor der Satzmitte (Takte 43 bis 51) unwillkürlich an Janáček denken läßt. (Die Umgebung dieses Zentralteiles hat Dvořák 1887 wesentlich gekürzt.)
Das Finale (Allegro con brio) setzt (ohne die in einem solchen Falle eigentlich erwartete Spielanweisung attacca) mit der Wiederaufnahme des den vorhergehenden Satzes beschließenden F-Dur-Akkordes ein und stürmt gleich zielstrebig modulierend auf ein gedachtes Forte-Ritornell in strahlendem A-Dur zu – das freilich nicht erreicht wird, weil der ganze Impetus abrupt in ratlosem Cis-moll stecken bleibt, aus dem uns dann das verspätete A-Dur-Ritornell, aber pointiert neckisch im Pianissimo, erlöst. Bei der Wiederholung des Vorganges am Schluß einer ungewöhnlich breit ausgesponnenen (und zum Mißbehagen vieler Analytiker in der Haupttonart stehenden) Episode tritt das Ritornell dann nach völlig identer Vorbereitung in G-Dur auf, wodurch ein origineller Fernbezug zum Anfang des ganzen Werkes (Takt 9ff. des ersten Satzes) geschaffen wird. Die folgende vollständige Wiederaufnahme der Episode (nun zur neuerlichen Beunruhigung der Kritiker im völlig irrationalen B-Dur) versandet unter spielerischen Scherzando-Figurationen (in denen man Mendelssohn-Echos vernehmen mag) in einem sechs Takte lang ausgehaltenen H-moll-Sextakkord, an den sich nach wirkungsvoller Generalpause der Aufschwung zur letzten Wideraufnahme des Ritornells schließt, dessen kapriziöse Erreichung über den Cis-moll-Umweg inzwischen keine Überraschung mehr ist. Der Rezensent der Uraufführung, der diesen Schlußsatz als „Rondo-Finale“ bezeichnete, hatte also – obwohl Dvořáks Notentext diese Bezeichnung nirgendwo enthält – nicht unrecht: Der Satz ist eines jener seit Schubert mit großer Vorliebe und wechselndem Glück geschaffenen Mischwesen aus Rondo- und Sonatenform (hier nach dem Schema ABABA). Auch wenn Dvořáks Interesse an der Umarbeitung an diesem Punkte noch nicht so lau geworden wäre, hätte er hier schwerlich einen plausiblen Weg der Verknappung finden können, ohne die unbekümmerte Vitalität des Jugendwerkes ernstlich zu gefährden. So hat die Vorsehung dafür gesorgt, daß uns in seinem „liegengelassenen“, aber doch nicht verworfenen A-Dur-Quintett der bezwingende Reichtum seiner Phantasie sowohl in der durch die erfahrene Meisterhand gebändigten als auch in seiner „ungekämmten“ Ursprünglichkeit bewahrt geblieben ist.
© Claus-Christian Schuster