Johannes Brahms
* Hamburg, 7. Mai 1833
† Wien, 3. April 1897
Quartett für Pianoforte, Violine, Viola und Violoncello Nr . 1, g-moll, op. 25
komponiert: Düsseldorf, 1855 (?), Detmold, 1859 (?), Hamm bei Hamburg, Juli – September 1861
Uraufführung: Hamburg, Kleiner Wörmerscher Konzertsaal, 16. November 1861
Clara Schumann (geb. Wieck, 1819-1896), Klavier
John Böie (1822-1900), Violine
Friedrich Breyther (1804-1864), Viola
Louis Lee (1819-1896), Violoncello
Widmung: Baron Reinhard von Dalwigk (1802-1880)
Erstausgabe: Simrock, Bonn, September 1863
Das erste Kammermusikwerk, mit dem der zehnjährige Brahms 1843 im Hamburger Lokal „Zum alten Raben“ vor die Öffentlichkeit trat, war wahrscheinlich Mozarts G-moll-Klavierquartett KV 478 von 1785, das mit Recht als das erste große Werk dieses ein wenig stiefmütterlich behandelten Genres gilt. Das von Florence May (1845-1923), der Schülerin und Biographin des Meisters, überlieferte Programm jenes öffentlichen Débuts läßt zwar immerhin die Möglichkeit offen, daß es sich auch um das Schwesterwerk (KV 493, Es-Dur) gehandelt haben könnte, aber da wir KV 478 auch noch später in Brahms´ Repertoire finden, in dem KV 493 ansonsten gar nicht aufscheint, darf unsere Mutmaßung als recht gut begründet gelten. Doch auch abseits dieser praktischen Argumentation böte das erste der drei Brahmsschen Klavierquartette einige Indizien, die jenes berühmte Mozartwerk zu einem plausiblen Ausgangspunkt seiner Erkundungen auf diesem Gebiet machen. Neben und über allen auf der Hand liegenden und tiefgreifenden Unterschieden zwischen dem Brahmsschen Opus 25 und Mozarts KV 478 ist es freilich die gemeinsame Grundtonart g-moll, die einen in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzenden Berührungspunkt zwischen den beiden Werken darstellt. Denn obwohl Brahms selbst der Frage der Tonartenwahl wie der damit verbundenen Diskussion der Tonartencharakteristik scheinbar gleichgültig (wenn nicht gar spöttisch) gegenüberstand, so bietet sein Schaffen doch immer wieder aussagekräftige Beispiele für historische Fernbezüge, in denen gerade dieser Aspekt eine große Rolle spielt – man denke etwa nur an seine (nach ungezählten verworfenen) erste erhaltene Sonate für Klavier und Violine (G-Dur, op. 78), die in ihrer ganzen tonalen Dramaturgie sehr deutlich an Beethovens letztes Werk in diesem Genre (op. 96) anknüpft.
Ist mit Mozart einer der wesentlichen Bezugspunkte des Opus 25 benannt, so lassen sich die beiden anderen, nämlich Haydn und Schumann, unschwer ausmachen: Die „Schöpfungs“-Anklänge im dritten Satz des Werkes hat schon Kalbeck ausfindig gemacht, und sie führen uns geradewegs in jene Zeit, die Brahms während Schumanns Todeskrankheit als Stütze des verwaisten Hauses in Düsseldorf verbrachte; am 27. Mai 1855 eröffnete Ferdinand Hiller das 33. Niederrheinische Musikfest mit seiner eigenen Frühlings-Symphonie und einer denkwürdigen Aufführung von Haydns „Schöpfung“, in der Jenny Lind das Festpublikum bezauberte. Die grandiosen Wirkungen, die Haydn oft mit einfachsten Mitteln erzielt, beeindruckten Brahms tief, und sicher nicht zufällig lesen wir in der Folge recht oft davon, daß Brahms sich mit dem Studium der Haydnschen Kammermusik vergnügt.
Zu den anderen Beschäftigungen dieser Zeit zählte aber auch die Anfertigung einer vierhändigen Version von Schumanns 1842 komponiertem Klavierquartett Es-Dur op. 47, die freilich erst 1887 im Druck erscheinen sollte, uns aber jedenfalls bestätigt, daß Brahms sich schon 1855 intensiv mit dem Genre auseinandersetzte.
Obwohl die dokumentarischen Belege nicht eindeutig sind, gibt es also guten Grund dafür, Joseph Joachims Behauptung, daß nämlich die Keime aller drei Brahmsschen Klavierquartette in eben dieses Jahr 1855 zurückreichen, Glauben zu schenken. Es ist – nach dem Zeugnis Joachims und Carl Bargheers – auch durchaus glaubwürdig, daß das Quartett, das Brahms im Sommer 1859 in Hamburg mit dem Cellisten Christian Reimers (1827-1889) bei der Schumann-Freundin Sophie Petersen (geb. Petit) ausprobierte und dann im November des selben Jahres in Detmold mit Joachim und Bargheer noch einmal vornahm, eine frühe Fassung unseres G-moll-Quartetts war.
Während das (vielleicht als erstes und zunächst noch in cis-moll konzipierte) Quartett op. 60 noch volle zwei Jahrzehnte warten mußte, bis es 1875 in seiner gründlich veränderten C-moll-Gestalt das Licht der Öffentlichkeit erblicken durfte, machte sich Brahms schon 1861 an die Endredaktion der beiden Schwesterwerke, die unter den Opusnummern 25 und 26 im Sommer 1863 erscheinen konnten. Wenn man die eigenhändigen Datierungen des Komponisten in seinem Werkverzeichnis zu Grunde legt, kehrt dabei die numerische Reihenfolge die Enstehungschronologie um, wie wir das ja auch etwa bei den Klavierkonzerten Beethovens und Chopins beobachten können, was sich aber in diesem Fall (und auch das ist typisch für Brahms´ Arbeitsweise) auch auf das Erscheinungsdatum auswirkt: Das schon seit Juli 1861 auf dem Schreibtisch des Komponisten liegende Opus 26 wurde im Juni 1863 gedruckt, das erst im Herbst 1861 wieder vorgenommene Opus 25 kam erst im Spätsommer 1863 auf den Markt. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Zwillingswerke freilich schon ihre Uraufführungen erlebt, und zwar doch in der von den Opusnummern suggerierten Ordnung: Unser Opus 25 am 16. November 1861 in Hamburg als die vorletzte der wichtigen Hamburger Brahms-Premieren (am 7. Dezember 1861 hob Clara Schumann dann dort noch die Händel-Variationen op. 24 aus der Taufe), das A-Dur-Quartett ein Jahr später (am 29. November 1862 im alten Musikverein auf den Tuchlauben) als erste Wiener Uraufführung eines Brahms-Werkes.
Wie präzise Brahms´ eigene Datierungen sind, läßt sich allerdings schwer überprüfen: Als Antwort auf einen besonders betrübten Brief Clara Schumanns (Kreuznach, 15. Juli 1861) schickt er ihr postwendend die ersten beiden Sätze des G-moll-Quartetts und das Scherzo des A-Dur-Quartetts, was eher darauf schließen ließe, daß die Ausarbeitung der beiden Werke nicht nacheinander, sondern doch parallel erfolgte.
Daß Brahms zunächst nur ein Paar seiner drei Klavierquartett-Kinder zur Welt brachte, folgt einer inneren Gesetzmäßigkeit, der wir schon in den Jahren davor im Diptychon der beiden Detmolder Orchesterserenaden (op. 11 für großes und op. 16 für kleines Orchester, 1857-1859) und dem wohl noch weiter zurückreichenden Variationenpaar op. 21 begegnet sind – und auch in der Folge wird er sich immer wieder einer ganz konkreten Aufgabe gleichzeitig von zwei verschiedenen Seiten nähern (so etwa in den Streichquartetten op. 51, den Klavier-Rhapsodien op. 79, den Orchester-Ouverturen op. 80/81 und den Klarinettensonaten op. 120).
Zwar zeigt der Komponist sich im (nach dem Klaviertrio op. 8 und dem Streichsextett op. 18) erst dritten seiner zur Veröffentlichung freigegebenen instrumentalen Kammermusikwerke womöglich noch selbstkritischer und ökonomischer als bisher – so mußte sich etwa das Andante noch in der allerletzten Überarbeitungsphase einen empfindlichen Strich (19 Takte zwischen Takt 206 und 207) gefallen lassen –, aber das Resultat ist von Kargheit und Lakonik denkbar weit entfernt. Ganz im Gegenteil: Wollte man einen Grundzug benennen, der das ganze Werk auszeichnet – es ist, wie die Aufführungsstatistiken überdeutlich belegen, bei weitem das populärste der drei –, so wäre das wohl gerade die verschwenderische Fülle seiner Ideen, die sich sowohl im Reichtum der thematischen Einfälle als auch in der Großzügigkeit und Weite der formalen Gestalt manifestiert.
Schon der erste Satz (Allegro, g-moll, C) bietet ein Paradebeispiel für diese Qualität: Jeder der konstituierenden Formteile ist mehrgliedrig ausgearbeitet, wobei sowohl dialektische Verknüpfungsmodelle (wie sie auch für das Mozartsche G-moll-Quartett typisch sind) als auch evolutiv-variierende eingesetzt werden. Besonders eindrucksvoll tritt diese Strategie im Seitensatz zutage: Ein erstes Seitensatzglied tritt in der spannungsgeladenen Molldominante (d-moll, T. 50) auf und bietet dem Hörer schon alles, was er von einem veritablen Seitenthema erwarten darf – thematische Prägnanz und Rundung, Kontrast zum Hauptthema in Gestalt, Textur und Metrik –, mündet aber schließlich (T. 79) in ein alternatives Thema auf der (eigentlich erwarteten) Durdominante (D-Dur), das seinem Vorgänger geschwisterlich eng verwandt, aber in ein viel helleres Licht getaucht ist. Dieser Seitenthemen-Doppelgänger landet mit der für Brahms auch später so typischen metrischen Verschränkung (T. 101) im Jubel eines dritten Themas, das zwar wie eine erste Schlußgruppe wirken mag, in Wahrheit aber ein letzter Formteil des Seitensatzes ist, mit dessen beiden vorhergehenden Abschnitten es auf mehreren Ebenen verknüpft ist. Erst hieran schließt Brahms eine ausgedehnte Coda (TT. 130-160), die auf das erste Hauptthema zurückgreift und diese überreiche Exposition – eine der entwickeltsten und reichhaltigsten im Œuvre des Meisters – abrundet.
Man mag in dieser Freigiebigkeit auch Elemente jugendlichen Überschwangs, ja sogar einer gewissen Verschwendungssucht sehen (wie das etliche der Kommentatoren in der Vergangenheit auch getan haben); nachdenklich stimmt freilich, daß Brahms sogar in dieser Exposition nicht nur niemals den narrativen Faden verliert, sondern offenbar auch – ob bewußt oder instinktiv, bleibe dahingestellt – immer den konstruktiven Überblick bewahrt. Wie sonst ließe sich erklären, daß von den 160 Takten dieser Exposition nicht mehr und nicht weniger als genau 80 (nämlich der Hauptsatz selbst und die Coda) vom Hauptthema und seinen Ableitungen regiert werden und eben so viele der Trias der „Seitenthemen“ gehören?
Aus der Überfülle des Bemerkenswerten und Eigenartigen, das die Physiognomie dieses Kopfsatzes prägt, seien nur noch zwei Détails hervorgehoben: Unisono-Themenköpfe sind ein Archetyp der musikalischen Formenwelt, aber sie sind fast ausnahmslos nicht nur diastematisch (vulgo „melodisch“), sondern eben auch rhythmisch „konturiert“, d. h.: sie werden auch durch eine charakteristische „rhythmische Signatur“, eine einprägsame Folge unterschiedlicher Notenwerte hervorgehoben. Mozarts G-moll-Quartett (das mit dem Intervallpaar fallende Quart/kleine Sekund eine generische Verwandtschaft mit dem das Brahmssche Incipit ab dem zweiten Takt beherrschenden Gestus aufweist) bietet ein Musterbeispiel für einen solchen „prägnanten“ Unisono-Beginn. Brahms erlaubt es sich, in der Eröffnung dieses Satzes auf dieses probate Kunstmittel völlig zu verzichten: Die ersten drei Takte seines Unisono-Incipits beschränken sich auf eine durchgehende Viertelbewegung, die erst im vierten Takt – und das auch nur durch eine motivische Verkürzung – von einer halben Note unterbrochen wird. Nicht genug damit, kommt auch der diesem Vordersatz folgende ausharmonisierte Nachsatz (T. 5-10) mit der ebenmäßigen und ununterbrochenen Fortsetzung dieser Viertelbewegung aus. Es dürfte nicht leicht sein, in Musikstücken, die nicht motorisch, sondern, wie das vorliegende, rhetorisch-expressiv geprägt sind, eine ähnlich radikale rhythmische Askese zu finden.
Die zweite (und wohl noch bemerkenswertere) Besonderheit betrifft den Umgang des Komponisten mit jenem Formteil (T. 101 ff.), den wir als den abschließenden dritten Teil des Seitensatzes aufgefaßt haben: Was uns Brahms in der Exposition als lebensmutigen, klangstrotzenden D-Dur-Siegesgesang vorgestellt hat, treffen wir in der Reprise (T. 304 ff., tranquillo) als schattenhaftes Nebelgebilde, als fragiles und fadenscheiniges G-moll-Gespinst wieder. (Vielleicht haben Pfitzner, Šostakovič und andere nachgeborenen Komponisten den erstaunlichen Mut zur kaltblütigen Ermordung ihrer eigenen Themen – wir erinnern uns an das Finale von Pfitzners Klaviertrio op. 8 oder den Kopfsatz von Šostakovičs Cellosonate op. 40 – aus Beispielen wie diesem bezogen.)
Angesichts solcher und vieler anderer Extravaganzen, deren Erörterung uns hier zu weit führen würde, ist es nicht verwunderlich, daß Brahms´ Zeitgenossen ihre liebe Mühe mit diesem Satz hatten. So schreibt etwa Joseph Joachim dem Komponisten unumwunden:
„Am wenigsten lieb bleibt mir der erste Satz des G moll-Quartetts. Er scheint mir in der Erfindung unverhältnismäßig weit den kommenden Sätzen nachzustehen, und manche Unregelmäßigkeit in dem rhythmischen Bau kommt mir nicht durch Charakteristik geboten vor, die sie allein rechtfertigen könnte.“
(Hannover, 15. Oktober 1861)
Jedenfalls ist es eben die „Unregelmäßigkeit“, sprich: Individualität der Brahmsschen Lösungen, die den Komponisten hier dazu bewegt, ein erstes Mal auf die traditionelle Wiederholung der Exposition zu verzichten – denn wie unwiederholbar die musikalischen Ereignisse geworden sind, haben wir ja schon am Schicksal des Seitensatzes erlebt.
Obwohl dieser Eröffnungssatz sicher zu den gewichtigsten und eigenwilligsten im Œuvre des Meisters gehört, ist es doch der zweite Satz (Intermezzo. Allegro ma non troppo, c-moll – Animato, As-Dur, 9/8), der am weitesten in jenes Terrain vordringt, das später die eigentlichste Domaine des Komponisten werden sollte. Clara schwärmt denn auch schon nach der allerersten Begegnung mit der Partitur, in welcher der Satz damals noch „Scherzo“ hieß:
„Vom Scherzo in C moll, meine ich, müßtest Du schon beim Aufschreiben, wenn Du an mich gedacht, mein Entzücken gewußt haben. Scherzo würde ich es nun freilich nicht nennen, kann es mir überhaupt nur Allegretto denken, aber das ist ein Stück so recht eigens für mich. […] … das Stück möchte ich mir immer und immer wieder spielen können! Und wie schön muß das klingen, immer die Orgelpunkte! Du lächelst gewiß über mich und meinst vielleicht, ich kenne nicht den höheren musikalischen Wert des ersten Satzes, gewiß weiß ich ihn, aber in dem C-moll-Stück, da kann ich so schön sanft träumen, mir ist, als ob die Seele sich wiegte auf Tönen.“
(Kreuznach, 29. Juli 1861)
Der langsame Satz (Andante con moto, Es-Dur, 3/4), in dem uns jener schon im ersten Satz vorkommende „altmodische“ Doppelschlag wiederbegegnet, den die gestrengen Kritiker auch im Streichsextett op. 18, wo er fast allgegenwärtig zu sein scheint, nur mit angestrengtem Stirnrunzeln aufnehmen und gar nicht gelten lassen wollen, zieht ganz unbeeindruckt von aller beckmesserischen Spiegelfechterei seine majestätische Bahn, die vom choralhaften Es-Dur des Beginns zum Festglanz des C-Dur-Mittelteils mit seinen Händel- und Haydn-Zitaten und wieder zurück führt. Dem feingewebten, durchsichtigen Klang des Intermezzos antwortet hier ein reicher, volltönender Wohllaut.
Das wohl in erster Linie für die Popularität des Quartetts verantwortliche Finale (Rondo alla zingarese, Presto, g-moll, 2/4) schöpft gleichermaßen aus den „magyarischen“ Erfahrungen des jungen Brahms in den abenteuerlichen Reisetagen mit Ede Reményi (recte Eduard Hoffmann, 1828-1898) und den folkloristischen Anregungen, die Brahms von seinem Lieblingsfreund „Jussuf“ Joachim empfing: Joachim hatte zu Beginn des Jahres 1861 sein Brahms gewidmetes „Concert in ungarischer Weise“ (d-moll, op. 11) uraufgeführt, das mit einem zündenden „Rondo alla zingara“ schließt – Brahms wird sich dafür siebzehn Jahre später mit seinem Opus 77 revanchieren.
Was immer Joachim schon im November 1859 in Detmold zu Gesicht bekommen haben mag: Das Werk, dessen Manuskript Brahms ihm Ende September 1861 aus Hamburg nach Hannover schickt, muß ihm in weiten Teilen ganz neu gewesen sein. Sein ausführlicher Dankesbrief, in dem sich nur – wie schon erwähnt – der erste Satz herbe Kritik gefallen lassen muß, gibt uns freilich Rätsel auf: Sollte mit dem hier erwähnten „Menuetto“ etwa wirklich das Andante gemeint sein? Brahms´ Eindringen auf ungarisches Hoheitsgebiet bringt Joachim jedenfalls so sehr aus der Fassung, daß er sich zu höchst bedenklichen (aber wohl nicht gut bedachten) Sätzen hinreißen läßt:
„Wie freue ich mich, Scherzo, Menuetto und Finale zu hören! In letzterem hast Du mir auf meinem eignen Territorium eine ganz tüchtige Schlappe versetzt, und ich wollte, meine (etwas arrogant auftretenden) Landsleute würden nächstens von den Deutschen so zwingend von der Letzteren geistigen Überlegenheit überzeugt! Sie fügten sich dann freundschaftlich in das Unvermeidliche, und freuten sich, daß man ihre Muttersprache anerkennt.“
(Hannover, 15. Oktober 1861)
Weit jenseits der entbehrlichen Debatte über diverse „Überlegenheiten“, die immer sehr unüberlegt vom Zaun gebrochen wird, hat dieses Finale einen unwiderstehlichen Schwung, dem man sich auch nach anderthalb Jahrhunderten der „Ausschlachtung“ nur schwer zu entziehen vermag. Dem Sog der feurigen Dreitakter konnte auch das Hellmesberger-Quartett nicht standhalten, das Julius Epstein schon kurz nach Brahms´ Ankunft in Wien in seine kleine Wohnung im Figaro-Haus (Schulerstraße 8 / Domgasse 5) einlud, um den tonangebenden Protagonisten der Wiener Kammermusik den jungen Komponisten vorzustellen: „Das ist der Erbe Beethovens!“ soll Primarius Joseph Hellmesberger am Ende ausgerufen haben. Ob Brahms, der schon an der Hypothek der Schumannschen Prophezeiungen („Neue Bahnen“) schwer genug zu tragen hatte, sich darüber freuen mochte, ist freilich sehr fraglich.
Jedenfalls zögerte Hellmesberger keinen Augenblick lang, seine Neuentdeckung mit dem Wiener Publikum zu teilen: Und so konnte Brahms am 16. November 1862, dem Jahrestag der Hamburger Uraufführung, sich mit seinem Opus 25 im Konzert des Hellmesberger-Quartetts den Wienern das allererste Mal als Komponist vorstellen. Vor allem das Zingarese-Finale, in dem Brahms seine Mitstreiter (Joseph Hellmesberger, Franz Dobyhal und Heinrich Roever) in eine wahre Ekstase mitriß (und der Violoncellosteg effektvoll zu Bruch ging) beeindruckte die Hörer tief.
Wie bei solchen Gelegenheiten bis heute üblich, erkalteten die Kritiker im selben Ausmaß, wie sich das Publikum erwärmte. Leopold Alexander Zellner (1823-1894), aus Zagreb stammender Musiker, Komponist und Musikjournalist (und später langjähriger Generalsekretär der Gesellschaft der Musikfreunde) resümierte in seinen „Blättern für Musik“ lakonisch:
„Öde, Sturm, Graus, Frost, Vernichtung, Trostlosigkeit sind die Vorstellungen, welche diese von keinem lichten oder milden Strahl auch nur auf Augenblicke erleuchteten und durchwärmten Nachtbilder hervorrufen.“
Joseph Hellmesberger selbst, der sich, je mehr Brahms´ Ruhm wuchs, immer skeptischer verhielt, hat später – mit reuigem Rückblick auf seinen inzwischen legendär gewordenen Beethoven-Ausruf – beteuert, einfach „bei Epstein zu viel kroatischen Wein getrunken zu haben“. Uns aber kann es nur recht sein, wenn sich in Wesen und Wirkung des ganzen Werkes hanseatisches Erbe, die scharfen Gewürze der Roma und Sinti und der schwere Wein der Magyaren und Kroaten gar nicht mehr voneinander scheiden lassen, und uns nur das Staunen über ein urwüchsiges Werk bleibt, in dem Tiefe und Temperament einander auf staunenswerte Weise die Waage halten.
© Claus-Christian Schuster