Ludwig van Beethoven
* Bonn, 16.(?) Dezember 1770
† Wien, 26. März 1827
Trio Nr. 1, Es-Dur, op. 1 Nr. 1
komponiert: Wien, etwa 1793
Widmung: Fürst Carl von Lichnowsky (1761-1814)
Uraufführung: Wien, bei Fürst Carl von Lichnowsky (Schauflergasse 6), vor dem 19. Jänner 1794 (wahrscheinlich Ende 1793)
Ludwig van Beethoven, Klavier
(?) Ignaz Schuppanzigh (1776-1830), Violine
(?) Anton Kraft (1749-1820), Violoncello
Erstausgabe: Artaria, Wien, Oktober 1795
Das Trio, mit dem Beethovens „offizielles“, also von ihm selbst als vollgültig anerkanntes Œuvre beginnt, wurde zusammen mit seinen beiden Schwesterwerken unter dem Titel „Trois Trios Pour le Piano-Forte, Violon et Violoncelle“ im Oktober 1795 bei Artaria in Wien veröffentlicht. Die Subskriptionsliste dieser Ausgabe ist ein eindrucksvoller Beleg für die Wertschätzung, die Beethoven sich schon in den ersten Jahren seines Wiener Aufenthaltes, nicht zuletzt dank der tatkräftigen Unterstützung und Förderung des Widmungsträgers, erringen hatte können. Aufgrund der belegten, wenn auch nicht exakt datierbaren Uraufführung des ganzen Opus fast zwei ganze Jahre vor der Drucklegung muß die Möglichkeit in Erwägung gezogen werden, daß die Konzeption oder der Beginn der Komposition dieser Werke vielleicht teilweise auch noch in die Bonner Zeit fällt – der als Untermauerung für diese Mutmaßung in der Literatur verschiedentlich angeführte „Beweis“ (ein Bericht des englischen Textilfabrikanten und Musikliebhabers William Gardiner) ist allerdings völlig untauglich, da es sich bei dem dort erwähnten „Es-Dur-Trio“ ganz offensichtlich nicht um unser Werk, sondern um das Streichtrio op. 3 handeln muß. Auf jeden Fall darf man in Kenntnis von Beethovens Arbeitsweise annehmen, daß alle drei Werke in der relativ langen Zeit zwischen Uraufführung und Herausgabe noch einmal einer gründlichen Überarbeitung unterzogen wurden, so daß man für diese ersten Klaviertrios ebenso wie für alle folgenden Beethovenschen Werke dieses Genres ruhigen Gewissens Wien als Entstehungsort annehmen darf. Die genaue „Geburtsstätte“ unserer Trios wäre demnach Beethovens erstes Wiener Quartier, ein dem Fürsten Lichnowsky gehörendes Haus an der Stelle der heutigen Adresse Alserstraße 30 – und somit könnte man aus der Sicht eines Trioliebhabers den heutigen IX. Wiener Gemeindebezirk zur „Terra sancta“ erklären: denn wenige Jahre zuvor (1788) hatte Mozart in seinem nur wenige Gehminuten entfernten Domizil „Zu den drei Sternen“ (Währingerstraße 26) seine letzten drei Klaviertrios (KV 542, 548 und 564) zu Papier gebracht.
Der oft zitierte Bericht über die Uraufführung, den uns Beethovens Schüler Ferdinand Ries überliefert hat, enthält einige Züge, die der späteren Legenden- und Klischeebildung über die Beziehung Beethovens zu seinem zeitweiligen Lehrer Haydn überaus förderlich waren:
„… Die drei Trio’s von Beethoven sollten zum erstenmale der Kunst-Welt in einer Soirée beim Fürsten Lichnowsky vorgetragen werden. Die meisten Künstler und Liebhaber waren eingeladen, besonders Haydn, auf dessen Urtheil Alles gespannt war. Die Trio’s wurden gespielt und machten gleich außerordentliches Aufsehen. Auch Haydn sagte viel Schönes darüber, rieth aber Beethoven, das dritte in C moll nicht herauszugeben. Dieses fiel Beethoven sehr auf, indem er es für das Beste hielt… Daher machte dies Aeußerung Haydn’s auf Beethoven einen bösen Eindruck und ließ bei ihm die Idee zurück: Haydn sei neidisch, eifersüchtig und meine es mit ihm nicht gut…“
Wie wichtig dieser Vorfall zu nehmen ist, zeigt die Widmung von Beethovens drei Klaviersonaten Opus 2 an Haydn ebenso wie Haydns Brief an den Kölner Erzbischof und Kurfürsten Maximilian Franz, in dem es in der für Haydn so bezeichnenden (und mit der raffinierten Eleganz des Briefstils seiner Zeit eigenartig kontrastierenden) Schlichtheit heißt:
„…Kenner und Nichtkenner müssen aus gegenwärtigen Stücken unpartheyisch eingestehen, daß Beethoven mit der Zeit die Stelle eines der größten Tonkünstler in Europa vertreten werde, und ich werde stolz sein, mich seinen Meister nennen zu können, nur wünsche ich, daß er noch geraume Zeit bey mir bleiben möge…“
Das „außerordentliche Aufsehen“, das die Werke sogleich machten, ist durchaus verständlich. Es sind die ersten „nachrevolutionären“ Werke unseres Genres, und die Erweiterung der traditionellen Dreisätzigkeit zur symphonischen Viersätzigkeit bei gleichzeitiger Verdrängung des „höfischen“ Menuetts durch das angriffslustigere und pointiertere Scherzo (mit der charakteristischen und alles andere als spielerischen Ausnahme im dritten und letzten Werk der Reihe!) kann und muß auch im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen und politischen Krise der Französischen Revolution gesehen werden. Die Werke faszinieren nicht nur durch Prägnanz und organischen Reichtum ihres thematischen Materials, sondern auch durch eine bis dahin völlig ungekannte Effizienz in der Ausnützung und Erschließung der klanglichen Möglichkeiten des Instrumentariums. Hand in Hand damit geht eine bei Haydn und Mozart in diesem Ausmaß vergeblich zu suchende Konsequenz, mit der die Prämissen der Besetzung den formalen und syntaktischen Ablauf prägen: diese Trios zeigen auch nicht mehr den leisesten Anflug der „begleiteten“ oder „arrangierten“ Klaviersonate.
Gleich der erste Satz (Allegro, Es-Dur) unseres die Reihe emblematisch eröffnenden Werkes ist ein Paradebeispiel dieser neuen Diktion. Gewiß, fast alle Elemente der Thematik und Gestik dieses Satzes lassen sich in der einen oder anderen Variante auch bei Beethovens großen Vorgängern nachweisen; doch die Stringenz, mit der die drei Instrumente in ein vielschichtiges konzertantes Gewebe verflochten werden, bezeichnet eine völlig neue Etappe in der Entwicklung des Genres. Die an sich schon vielgliedrige und großräumige Sonatenhauptsatzform gewinnt dadurch noch an Weite, daß die Durchführung die Themen weniger im traditionellen Sinne „verarbeitet“ als über sie meditiert, also nicht mit Fragmentierung und Beschleunigung, sondern eher mit koloristischer Harmonik und nachdenklicher Beharrlichkeit operiert – wobei, ganz im Gegensatz zur üblichen Durchführungsdramaturgie, die Reihenfolge der Elemente im wesentlichen nicht angetastet wird. Von diesem Vorgang ist nur das Seitenthema ganz ausgenommen, das dafür aber am Schluß der Reprise zum Ausgangspunkt einer ausgedehnten Coda wird, in deren Verlauf die Themen jetzt erstmals aus ihrem formalen Zusammenhang genommen werden und den Satz zu einem dramaturgisch höchst wirkungsvollen, frei-assoziativen Abschluß führen.
Der zweite Satz (Adagio cantabile, As-Dur) erschließt und durchmißt die ganze subdominantische Hemisphäre, auf die das Hauptthema des ersten Satzes so geistreich und ungestüm losging, mit einer zu diesem Impetus in denkbar größtem Kontrast stehenden Innigkeit und Schlichtheit. Mitte und Achse des – in freier Rondoform geschriebenen – Satzes ist eine ehrfurchtgebietende Wendung in ein numinos strahlendes C-Dur: Wen im „religiösen“ C-Dur Beethovens und Schuberts die erbaulichen Worte Klopstocks und Gellerts mehr irritieren als inspirieren, der kann sich hier einer archaischen, wortlosen Erschütterung hingeben ( – über die man folgerichtig auch nicht schreiben sollte).
Das Scherzo (Allegro assai, Es-Dur) bildet mit dem Finale (Presto, Es-Dur) eine gedankliche Einheit – nur selten werden wir Beethoven wieder bei so ungetrübt gutem Humor finden. Mutwille und Schabernack lachen uns aus jeder Wendung des musikalischen Geschehens entgegen. Das Scherzo führt uns gleich zu Beginn mit einem vorgetäuschten c-moll in die Irre, in der uns dann auch noch willkürlich versetzte Akzente weiter vom Weg abbringen. Das Trio (As-Dur) schwebt schwerelos wie ein Nebelgebilde vorüber, und die Coda des Scherzos scheint sich schließlich gar völlig ins Nichts zu verlieren, doch nur um unerwartet in den angeheiterten Dezimsprung des Finalthemas zu münden, der zum Ausgangspunkt für die drolligsten und launigsten Eskapaden wird: aller Studentenulk und alle Poesie, die uns bei E. T. A. Hoffmann und Eichendorff noch soviele schöne Stunden schenken werden, sind schon hier Musik geworden – auch die traumhafte Verzauberung (hier in Form einer wundervollen Verirrung nach E-Dur) fehlt nicht. Und wenn am Schluß, nach dem auch der letzte Studiosus gicksend im Dunkel verschwunden ist, in die unvermittelte Stille plötzlich die Schlußtakte im Fortissimo hereinbrechen, haben sie alle Siegesgewißheit, die ein Marsch der Davidsbündler gegen die Philister nur haben kann.
© Claus-Christian Schuster