Louis Ferdinand (eigentlich: Friedrich Ludwig Christian) von Hohenzollern, Prinz von Preußen
* Berlin, Schloß Friedrichsfelde, 18. November 1772
† Saalfeld (Thüringen), 10. Oktober 1806
aus dem Grand Trio (Nr. 3), Es-Dur, op. 10:
1. Satz: Introduzione. Adagio cantabile – Molto allegro e con brio
komponiert: wahrscheinlich Frühling/Sommer 1806, Magdeburg und Schricke (Zielitz, Sachsen-Anhalt)
Widmung: Luise Radziwiłłówna, geb. Hohenzollern, Prinzessin von Preußen (1770-1836)
Uraufführung: nicht dokumentiert
Erstausgabe: Werkmeister, Berlin, August 1806
Beethovens illustrer Nachbar auf der Mölkerbastei, Prinz Charles Joseph de Ligne (1735-1814), stellte nach dem mythenumwobenen Schlachtentod des noch nicht vierunddreißigjährigen Louis Ferdinand fest: „Der Prinz Louis Ferdinand ist ein Held für einen Roman, die Weltgeschichte oder eine Sage. Man sah in ihm einen Halbgott. Durch seine Liebenswürdigkeit, seine Anmut und seinen Leichtsinn ist er Mars, Adonis und Alkibiades in einer Person.“ Beethoven selbst, der Prinz Louis Ferdinand im Juni 1796 in Berlin kennengelernt und bei dessen Wienbesuch im September 1804 wiedergetroffen hatte, beurteilte seinen legendären Zeitgenossen nüchterner, aber durchaus wohlwollend: Er spiele „gar nicht königlich oder prinzlich, sondern wie ein tüchtiger Clavierspieler“, und sogar in seinen Kompositionen seien „hie und da hübsche Brocken drin“.
So wahrscheinlich es auch sein mag, daß die musikalischen Werke des preußischen Prinzen ihr Überleben ausschließlich jenem Nimbus verdanken, der ihren Schöpfer in Leben und Tod umgab, so unbestreitbar ist auch, daß ihnen Qualitäten innewohnen, welche die Beschäftigung mit ihnen auch mehr als zweihundert Jahre nach ihrem Entstehen durchaus rechtfertigen.
Als Sohn des jüngsten und mittelmäßigsten der Brüder Friedrichs des Großen, des geizigen und kleinlichen Prinzen Ferdinand (1730-1813), und der kunstbeflissenen Prinzessin Anna Elisabeth Luise von Brandenburg-Schwedt (1750-1811), die mit Angelika Kauffmann befreundet war, genoß Friedrich Ludwig Christian zusammen mit seinen älteren Geschwistern Luise (der Widmungsträgerin unseres Trios) und Heinrich (1771-1790) eine etwas unsystematische, aber vielseitige Erziehung, in der die Beschäftigung mit Musik einen recht prominenten Platz einnahm. Ob seine genialische, aber schrullige Tante Anna Amalia von Preußen (1723-1787), die als einzige der Geschwister Friedrichs des Großen unverheiratet geblieben war und selbst als hervorragende Musikerin und hochtalentierte Komponistin galt, in die musikalische Ausbildung ihres Neffen, dem sie jedenfalls mit großer Sympathie begegnete, eingegriffen hat, ist nicht dokumentiert, aber doch einigermaßen wahrscheinlich. Seine wirklichen Taufnamen hatte der kleine Prinz schon bald nach seiner Geburt – zur Vermeidung innerfamiliärer Verwechslungen – mit den Namen Louis Ferdinand (eine mnemotechnische Chiffre, mit der man den kleinen „Louis“ seinem Vater Ferdinand zuordnete) vertauschen müssen; und diese erste Enterbung sollte symptomatisch für das kurze und konfliktreiche Leben des Prinzen werden. Von der Mutter spätestens seit der Geburt des Nachzüglers August (1779-1843), dem von nun an alle Liebe und eine das Pathologische streifende Aufmerksamkeit galt, kaum wahrgenommen, vom Vater, dem er in kaum einem Charakterzug ähnlich war, nur als leichtsinnig und verschwenderisch kritisiert, ging Louis Ferdinand zusammen mit seinem kränklichen und geistig nicht sehr wendigen Bruder Heinrich durch die Hände einer ganzen Reihe ernsthaft bemühter, aber meist heillos überforderter Hauslehrer. Seine angeborene Schlagfertigkeit und geistige Wendigkeit hatten ihn aber schon sehr früh zum erklärten Liebling seines königlichen Onkels gemacht, dessen Geschwister Heinrich (1726-1802) und Anna Amalia aus ihrer Sympathie für den brillanten Neffen ebenfalls kein Hehl machten. Über die musikalische Ausbildung des Prinzen wissen wir recht wenig Konkretes: Johann Niklaus Forkel (1749-1818), der Nestor der historischen Musikwissenschaft in Deutschland, nennt den Berliner Komponisten, Flötisten und Pianisten Carl Wilhelm Glösch (1732-1809) als ersten Musiklehrer – eine recht naheliegende Vermutung, wenn man bedenkt, daß Glösch von 1765 bis zu seinem Tode als maître de musique bei Louis Ferdinands Mutter angestellt gewesen sein soll. Jedenfalls hatte Louis Ferdinand, als er im März 1789, am Vorabend der Zeitenwende, die einem preußischen Prinzen unausweichlich vorgezeichnete Militärlaufbahn einschlug, schon den Ruf eines bemerkenswerten Klavierspielers und Improvisators. In dem der französischen Revolution folgenden Krieg gegen Frankreich (1792/94) hatte der junge Heißsporn nicht nur Gelegenheit, sich durch Mut und strategischen Instinkt auszuzeichnen und so schon früh zu einer weit über die Grenzen seiner Heimat bekannten und verehrten Figur des öffentlichen Lebens zu werden, er nützte auch alle sich (in den Kriegen des XVIII. Jahrhunderts noch vergleichsweise häufig) bietenden Freiräume zur musikalischen Betätigung und Vervollkommnung. Als man ihm dann nach Kriegsende 1795 ein Infanterieregiment in Magdeburg überantwortet – wohl weniger in Anerkennung seiner Verdienste, sondern in erster Linie, um seinen unberechenbar scheinenden Tatendrang zu dämpfen –, bekämpft er die nicht unbegründete Furcht, „daß unsere trostlose und langweilige Garnison mein ganzes musikalisches Genie weggeschwemmt hat“, mit vermehrtem und vertieftem Studium der Kompositionslehre. Einiges deutet darauf hin, daß Louis Ferdinand etwa um diese Zeit in dem eben nach längeren Aufenthalten in Paris und London nach Deutschland zurückgekehrten Komponisten und Pianisten Heinrich Gerhard von Lenz (1764-1839), der viel später in Chopins Biographie eine ephemere Rolle spielen sollte, einen handwerklich soliden Mentor gefunden hat. Zwar scheint dieser Kontakt nur von kurzer Dauer gewesen zu sein, er könnte aber mit dazu beigetragen haben, daß das kompositorische Schaffen Louis Ferdinands seinen Schwerpunkt in der Klavierkammermusik finden sollte – jenem Genre, in dem Lenz (wie seine Pariser und Londoner Veröffentlichungen belegen) besonders erfolgreich war. Am 17. März 1796 heiratete Schwester Luise den polnischen Magnaten Antoni Henryk Radziwiłł (1775-1833), der als erster (und von Goethe selbst geförderter) Komponist einer „Faust-Musik“ (1808-1833) sowie als Widmungsträger von Werken Beethovens (Ouverture zur Namensfeier op. 115), Mendelssohns (Klavierquartett op. 1) und Chopins (Klaviertrio op. 8) in die Musikgeschichte eingehen sollte und sehr rasch die Sympathie und Freundschaft seines Schwagers gewann. In den Juni des Jahres 1796 fällt dann auch die flüchtige, aber für Louis Ferdinand wahrscheinlich prägende Begegnung mit Beethoven in Berlin. Die Fadesse des Garnisonslebens, zu der man ihn auch über die folgenden Jahre verurteilte, kompensierte der mittlerweile völlig überschuldete Prinzen nur durch seine musikalische Leidenschaft und eine bunte Folge amouröser Abenteuer. Während einer längeren Stationierung in Westfalen unternahm er eine Reise nach Hamburg, wo er Kontakt zu den intellektuellen Kreisen der fanzösischen Revolutionsflüchtlinge, aber auch zu damals kurzzeitig in Hamburg wirkenden Musikern pflegte: darunter scheint der noch heute jedem Geigenschüler vertraute Violinvirtuose Pierre Rode (1774-1830) gewesen zu sein, dem Louis Ferdinand später das vom jungen Schumann so bewunderte Klavierquartett op. 6 widmen sollte. Auch ein erstes Zusammentreffen mit seinem späteren ständigen musikalischen Begleiter Jan Ladislav Dusík (Johann Ladislaus Dussek, 1760-1812) scheint in den Februar 1800 zu fallen. Hingegen kann Louis Ferdinand bei seinem Hamburgaufenthalt, der etwa von Oktober 1799 bis Februar 1800 dauerte, den für seine fernere musikalische Entwicklung nicht unbedeutenden, eigenwilligen Beethoven-Zeitgenossen Antonín Reicha (1770-1836) schwerlich getroffen haben, da dieser Hamburg schon am 25. September 1799 verlassen hatte.
Louis Ferdinands von Umgang und Lebensweise seines Sohnes alarmierter Vater Ferdinand sorgte schließlich dafür, daß man den Prinzen am frühen Morgen des 18. Februars 1800 in Hamburg festnahm und ihn nach Magdeburg zurückbrachte, wo er von nun an bei seinem Regiment in einer Art Stadtarrest verweilen mußte. Bei seiner Musik und bei der bezaubernd naiven Henriette Fromme (1783-1828) fand er reichlich Trost: Henriette gebar ihm 1803 seinen einzigen Sohn, Anton Albert Heinrich Ludwig, genannt Louis, und ein Jahr später die Tochter Emilie Henriette Luise Blanca, genannt Blanche. (Beide wurden später unter dem Namen „von Wildenbruch“ geadelt – und Louis Ferdinands Sohn wurde schließlich der Vater des Dichters Ernst von Wildenbruch (1845-1909).) Nach dem Tode von Onkel Heinrich (3. August 1802) verfügte Louis Ferdinand, trotz der hartnäckigen Intrigen seiner Mutter, die nur das Interesse ihres Letztgeborenen im Sinne hatte, über ausreichende Geldmittel, um für seine kleine illegitime Familie das Gut Schricke zu erwerben und einzurichten, das – etwa 20km von Magdeburg entfernt – für die wenigen ihm noch verbleibenden Lebensjahre zu seinem bevorzugten Zufluchtsort werden sollte. Doch auch die Großstadt zog ihn nach wie vor an: Auf den ihm sparsam zugestandenen Berlinbesuchen trat er in den legendären Kreis des Salons der Rahel Levin (1771-1833) ein, die er in seinen sehr offenen Briefen immer nur als „liebe Kleine“ titulierte – und er lernte schließlich das „herrliche Mädchen – denn Mädchen for ever!“ (Friedrich von Gentz an Carl Gustav von Brinckmann, Wien, 28.12.1803) kennen, das sein Denken und Sehnen bis zu seinem Tode beherrschen sollte: Pauline Wiesel, geb. César (1778-1848). In der hochkomplizierten ménage à trois, die der Prinz bis kurz vor seinem Tod, mit und zwischen „Jettchen“ und „Pelle“ zu führen versuchte, stand ihm die „liebe, kleine“ Rahel Levin als feinfühlende Seelenfreundin und kluge Ratgeberin zur Seite. Bei der Lektüre des diese verworrene Situation begleitenden und immer weiter ausufernden Briefwechsels fragt man sich unwillkürlich, woher Louis Ferdinand – neben der peinlichen Wahrnehmung, ja Übererfüllung seiner dienstlichen Pflichten, inklusive militärischer und diplomatischer Erkundungsreisen, die ihn nach Italien und im September 1804 auch nach Wien führten – wohl Zeit und Energie genommen haben mag, um seiner musikalischen Berufung treu zu bleiben: Mit der möglichen Ausnahme der Opera 7, 9 und 13 (die vielleicht schon in Hamburg 1799/1800 entstanden sein könnten) stammen sämtliche erhaltenen Kompositionen des Prinzen aus diesen letzten Lebensjahren. Seit 1804 stand der trinkfeste und ewig hungrige, vor allem aber phantasievolle und einfallsreiche Jan Ladislav Dusík fest im Dienste des Prinzen, dessen musikalischen Appetit er unermüdlich anzuregen und zu befriedigen verstand. Die Enttäuschung über das zögerliche und widersprüchliche Agieren Preußens im Kampf gegen Napoleon trug ohne Zweifel dazu bei, daß sich Louis Ferdinand in seinen letzten Lebensjahren viel eher als Komponist denn als preußischer Offizier verstand.
Sein drittes und letztes Klaviertrio widmete Louis Ferdinand seiner geliebten Schwester Luise. Im Wortlaut der Widmung hielt er sich allerdings an die von der Geltungssucht seiner Mutter diktierte Sprachregelung, die den Wünschen der Widmungsträgerin selbst (die lieber als „Prinzessin Radziwiłł“ angesprochen werden wollte) zuwiderlief: „Ihrer Königlichen Hoheit, der Frau Prinzessin Louise von Preußen, Gemahlin des Fürsten Radziwiłł gewidmet.“ Das Werk erschien in Stimmen (ohne Partitur) und ohne Opusnummer im August 1806, fast zeitgleich mit der Mobilmachung, im Berliner Verlag Werkmeister. Warum von den sieben im August/September 1806, fast wie ein „Nachlaß zu Lebzeiten“, gleichzeitig veröffentlichten Kammermusikwerken des Prinzen gerade dieses Trio (ebenso wie die Klavierquintett-Variationen op. 11) diesem unbedeutenden Kleinverlag und nicht etwa (wie die Opera 2 bis 6) dem traditionsreichen Haus Breitkopf & Härtel anvertraut wurde, ist unbekannt. Schwerlich kann es sich dabei um ein Werturteil des Autors handeln: Denn, anders als die Trios op. 2 (ohne Widmung) und op. 3 (Herzogin Dorothea von Kurland gewidmet), trägt dieses Trio im Titel das Epitheton „Grand“, und schon die Widmung an die Schwester läßt eine Differenzierung dieser Art als ganz unglaubwürdig erscheinen. Auch in der Wirkungsgeschichte läuft dieses „letzte“ Trio den beiden Schwesterwerken den Rang ab: Als während des ersten Weltkrieges, wohl aus patriotischen Motiven, alle Trios neu verlegt wurden, fand das Opus 10 vor den beiden anderen den Weg in den Konzertsaal und wurde dann während der Weimarer Republik wiederholt sogar im jungen Medium Rundfunk präsentiert.
Auf dieses Werk trifft in besonderem Maße zu, was Hermann Kretzschmar, der Herausgeber des musikalischen Gesamtwerks von Louis Ferdinand, im Vorwort zu seiner – zum hundertsten Todestag des Komponisten erschienenen – Ausgabe festhielt: „Dem starken inneren Grunde entspricht in der Musik des Prinzen auch die Fülle und Mannigfaltigkeit der musikalischen Mittel. Zum Teil sind sie seine eigenste Erfindung. Dahin gehört die Modulation seiner Harmonien, die mit ihrer Beweglichkeit und Kühnheit in der Zeit des Prinzen beispiellos war. Sie gipfelt in häufigen enharmonischen Rückungen.“ Solchen Rückungen begegnen wir im Kopfsatz unseres Trios in fast schon obsessiv erscheinender Eindringlichkeit. In der wie improvisiert wirkenden Adagio-Introduktion finden sich ansatzweise schon alle motivischen Grundgestalten des ganzen Werkes. Und auch im weiteren Verlauf des mit seinen nicht weniger als 404 Takten unübersehbar jenen Beethovenschen Dimensionen, die Louis Ferdinand an den Sonaten op. 5 tief beeindruckt haben müssen, nachstrebenden Satzes bleibt das Bemühen um Einheitlichkeit immer spürbar. Wo Nebenthemen in Erscheinung treten wollen, geben sie sich immer flugs als spielerische Modifikationen der Grundidee zu erkennen; die dominantische Wiederaufnahme des Hauptthemas im zweiten Teil der Exposition gibt dem Satz vollends ein monothematisches Gepräge – ein Umstand, den Louis Ferdinand in der Reprise für Fragmentation und Umreihung des Expositionsverlaufes zu nützen weiß. Trotz all dieser handwerklichen Künste bleibt aber die Freude an den eigenen pianistischen Fähigkeiten und an dem teuren englischen Instrument, das sich der Prinz vom Mund abgespart hatte, unüberhörbar das eigentliche Movens des ganzen Satzes.
Das Echo auf die Publikation der eindrucksvollen Werkreihe, die ihn in die Avantgarde seiner komponierenden Zeitgenossen stellte, konnte Louis Ferdinand nicht mehr abwarten. Wenige Tage nach dem Erscheinen des letzten der sechs Werke brach er in einen verspäteten und aussichtlosen Feldzug auf. Er wußte besser als irgend jemand, daß der rechte Zeitpunkt und seine historische Stunde schon versäumt war. Und der Soldat Jean-Baptiste Guindey (1785-1813), fast noch ein Kind, war nicht mehr als ein willfähriges Werkzeug, als er Louis Ferdinand am frühen Nachmittag jenes unseligen 10. Oktobers 1806 niederstreckte – daran vermögen auch die ihm von Napoléon-Fetischisten errichteten Denkmäler nichts zu ändern.
Für das Nachleben des nun unter die Gestirne versetzten Helden war jedenfalls gesorgt: Dusík und Liszt wimeten ihm Klavierelegien, Fanny Lewald und Theodor Fontane machten ihn zur Romanfigur, und in Gedichten besang ihn gleich ein ganzer Chor deutscher Dichter: Arnim, Brentano, Fontane, Freiligrath, Liliencron – und sein eigener Enkel Ernst von Wildenbruch. Schumann, in dessen Frühwerk sich manches Echo aus den Kompositionen des Prinzen nachweisen läßt, nannte ihn den „romantischsten aller Fürstensöhne“ und prophezeite ihm „in der Geschichte der Musik ein unvergängliches Andenken“ – eine Voraussage, zu deren wenigstens teilweiser Erfüllung wir beitragen wollen, indem wir Louis Ferdinand nach weit über einem halben Jahrhundert im Wienr Musikverein wieder einmal zu Wort kommen lassen.
© Claus-Christian Schuster